Bissopfer und trotzdem Hundenarren
„Der Hund war schwarz und so groß wie ich. Warum er mich angefallen hat, weiß ich nicht.“ Im Alter von fünf Jahren war Ilse Kleindl am Hof ihrer Großeltern von einem Kettenhund ins Gesicht gebissen und schwer verletzt worden. An den dramatischen Vorfall erinnert die 50-Jährige noch heute die Narbe zwischen rechter Wange und Kinn. Das Kapitel Hunde ist für die Mostviertlerin aus Viehdorf aber dennoch nicht geschlossen. „Ich mag sie sehr und sie gehen mir auch zu“, sagt sie.
Vorfälle, wie die Attacke eines Rottweilers in Wien, der einen Einjährigen lebensgefährlich verletzt hat, machen die Frisörin hellhörig. „Furchtbar. Meist sind die Hundehalter selbst schuld“, sagt sie. Wahrscheinlich hing auch das eigene Unglück mit der Haltung des Tiers zusammen. „Es war ein Mischling, der als Wachhund an der Kette gehalten wurde. Ich hab’ mich vor ihm gefürchtet“, erzählt Kleindl. Sie erinnert sich nicht mehr, ob sie am Weg zum WC beim Hund angestreift war. „Ich weiß noch, geweint habe ich nach dem Angriff eigentlich, weil ich es nicht mehr auf’s Klo geschafft hatte. Dann kam ich ins Spital und ich wurde genäht“, erzählt sie. Das aggressive Tier ließen die Großeltern einschläfern.
Ihr Verhältnis zu Hunden habe sich aber durch den Vorfall nicht geändert, beurteilt Ilse Kleindl im Nachhinein. Ihr wichtigster Therapeut war wohl ebenfalls ein Vierbeiner. „Wir hatten daheim selbst einen Hund. Der hieß Stuzi und war völlig gutmütig und immer da“, erinnert sie sich. An eine besondere Scheu vor Hunden könne sie sich nach dem Biss nie erinnern. Im Gegenteil: Hunde und auch Katzen seien irgendwie Teil ihres Lebens, meint die Tierfreundin. Leider kommt ein eigener Hund aus beruflichen Gründen nicht in Frage. „Dafür gehen mir die Hunde unserer Freunde und Bekannten zu. Die wollen spielen und kuscheln“, sagt Ilse und zeigt ihre Fotosammlung am Handy her. Die verspielte Französische Bulldogge ihres Chefs liefert dabei besonders drollige Motive.
Für ihrem Umgang mit Hunden hat Kleindl trotz aller Liebe und Empathie für die Freunde mit den kalten Schnauzen aber klare Prinzipien: „Man soll keinem Hund zeigen, dass man vielleicht Angst hat. Sonst hat man schon verloren“, schildert sie. Zugegeben, „bei großen schwarzen Hunden bin ich am Beginn etwas vorsichtiger“. Als Frisörin auch öfters bei Hausbesuchen unterwegs habe sie sich mit lauten und klaren Kommandos schon bei manchem kläffenden Wächter binnen Sekunden Respekt und Zugang zur Kundschaft verschafft.
Bauch aufgerissen
Drei Jahre alt war Andrea Bruckner aus Riedlingsdorf, Bezirk Oberwart, als sie von einem Hund 22 Mal in den Bauch gebissen wurde. „Das war an meinem Geburtstag. Ich war mit Luftballons in der Hand am Weg nach Hause, als mir unser Nachbarshund entgegengekommen ist“, sagt die 56-jährige.
Der Hund sprang hoch, erwischte einen Luftballon, dieser platzte. Woraufhin das Tier völlig ausrastete. „Er ist erschrocken und hat zugebissen. Der 16-jährige Nachbarsjunge hat mich gerettet, indem er mich ins nächste Haus gezogen hat. Meine Bauchdecke war aufgerissen – aber ich habs überlebt.“
Folgen hatte der Vorfall für Andrea Bruckner keine. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die wegen Vernachlässigung des Kindes beinahe verhaftet worden wäre. Und wie ist ihr Verhältnis zu Hunden heute? „Ungetrübt, ich liebe Hunde über alles. Ich hatte auch noch nie Angst, wenn mir einer entgegengekommen ist.“ Zusatz: „Ich fürchte mich nur vor allem, das kracht und laut ist. Auch Luftballone kann ich keinen mehr aufblasen – aber mit Hunden spielen, das ist kein Problem.“
Für sie steht fest: „So wie in meinem Fall ist es oft der Mensch oder das Umfeld, das schuld an Vorfällen hat. Wäre der Luftballon nicht geplatzt, hätte mich der Hund nicht gebissen. So einfach ist das.“
Hund und Kind: Richtiges Miteinander
Die Hundetrainerin Karin Engleitner erklärt, wie es gelingen kann.
Beißt ein Hund ein Kind, fallen die Hundehalter meist aus allen Wolken. Dass der Hund bereits vor dem Biss genügend Anzeichen dafür zeigt, fällt den Wenigsten auf. Hundetrainerin Karin Engleitner erklärt: „Die meisten Aggressionsformen passieren nonverbal.“ Bevor ein Hund wirklich zubeißt, wird meist sein Körper steif, er zieht die Lefzen hoch oder er knurrt. Erst, wenn man alle Vorzeichen ignoriert, kann es gefährlich werden.
Warum Kinder?
Für Hunde sind Kinder einfach gesagt kleinere Menschen. Der entscheidende Unterschied ist, dass Kinder sich oft unkontrollierter bewegen, was für den Hund eine unangenehme Situation darstellt, die er stoppen will. „Kein Hund hat jedoch per se die Absicht, Personen zu verletzen. Sie handeln nur korrigierend.“ Wird man selbst Zeuge eines Angriffs, sei es das Allerwichtigste, den Hund so schnell wie möglich wieder in Gewahrsam zu bringen und anzuleinen, um die Situation zu entschärfen.
Sofortiges Wegziehen des Hundes, wenn er sich bereits verbissen hat, kann die Verletzungen aber sogar verschlimmern. Am besten ist es, ruhig zu bleiben bzw. es gar nicht erst soweit kommen zu lassen, indem das Tier bereits vorher lernt, mit solchen Situationen umzugehen. In den ersten paar Lebenswochen des Hunde sollte deswegen die Sozialisierung mit jeglichen Störfaktoren geübt werden.
Alltagsverhalten
In der „DOGS Martin Rütter“ Hundeschule in Wien setzt man besonders auf Bewusstseinsschaffung. Karin Engleitner empfiehlt Eltern mit Hund, die Kinder von Anfang an zum Training mitzunehmen. So können sie am besten lernen, den Hund zu lesen, und wissen von Anfang an, was dem Hund gefällt und was nicht. Wichtig ist auch, dem Kind zu erklären, dass es sich fremden Hunden nur mit der Erlaubnis des Besitzers, in Ruhe und unter Aufsicht nähern sollte. Als Hundehalter selbst, sollte man bereits im Vorhinein wissen, ob das Tier Kinder überhaupt mag. Sollte das nicht der Fall sein, ist Distanz immer der beste Weg.
Mit BabysKommt ein Baby in einen Hundehaushalt, liegt es am Halter, bereits vor der Geburt ausreichend zu trainieren. Dabei muss dem Hund vor allem klar gemacht werden, dass das Beschützen des Kindes nicht seine Aufgabe ist. Gegenstände wie der Kinderwagen sollten dem Hund vertraut gemacht werden.
Ist das Baby da, muss der Hund verstehen, dass er sich dem Baby nicht gleich nähern darf und das Kinderzimmer für ihn tabu ist.
In der Idee des Hundeführscheins sieht Profi Engleitner eine gute Chance, den Halter auf seinen Hund vorzubereiten und in seiner Körpersprache zu schulen. Die Ideallösung wäre, dass sich jeder Hundehalter bereits vor der Anschaffung mit dem Verhalten des Hundes beschäftigen muss – nicht nur jene der sogenannten „Listenhunde“.
Yvonne Bargl