Mega-Prozess in Kärnten: Wer ist der Mann, der offenbar 40.000 Menschen abzockte?
Von Anja Kröll
Zuletzt lebte er in Dubai und auf Bali. Am Mittwoch kehrte er in seine Kärntner Heimat zurück. Aber wohl anders, als erwartet.
Um 9.20 Uhr startete am Landesgericht Klagenfurt einer der wohl größten Prozesse, den das Land je erlebt hat. Im Mittelpunkt steht jener erst 26-Jährige, der Mastermind eines perfiden Betrugsnetzes sein soll.
Er und sieben weitere Angeklagte (im Alter bis 48 Jahre) müssen sich seit Mittwoch wegen gewerbsmäßig schweren Betrugs, Geldwäscherei, Ketten- oder Pyramidenspiel sowie krimineller Vereinigung verantworten.
Nur einer der Männer ist vorbestraft. Sechs von ihnen -darunter zwei Brüder - sind gebürtige Kärntner, zwei Tiroler. Sie sollen zentral von Klagenfurt aus, rund 40.000 Menschen weltweit betrogen haben.
Zwei weitere Haupttäter sind auf der Flucht. Ein weiterer kurz vor seiner Auslieferung aus Brasilien.
Der Hauptangeklagte zeigte sich nicht geständig, ebenso wie alle anderen anderen Angeklagten.
Der Megaprozess wird über Monate gehen. Insider sprechen von 50 möglichen Verhandlungstagen.
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Das Firmenkonstrukt nannten sie "EXW Wallet", mit dem sie in gerade einmal zwei Jahren rund 14 Millionen Euro ergaunert haben sollen. Von dieser Summe geht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatanwaltschaft (WKStA) aus.
100 Millionen Euro Schaden möglich
Die Staatsanwältin der WKStA Caroline Czedik-Eysenberg verwies in ihrem Eröffnungsplädoyer aber auf eine noch viel höhere mögliche Schadenssumme: "Zeugen sprechen von 80 bis 100 Millionen Euro." Ebenfalls überraschte sie mit der Ankündigung, dass die Auslieferung eines Verdächtigen aus Brasilien unmittelbar bevorstehen würde.
Jenes Geld, das die Opfer investiert hatten, konnte bisher nicht sichergestellt werden.
Zu sehen war es am Mittwoch bei Gericht nur auf Fotos, die ganze Geldstapel zeigten, daneben Dosen eines Energygetränks. Die Geschädigten sollen ab 15. November vor Gericht zu Wort kommen.
Wie die Angeklagten vorgegangen sein dürften? Offenbar mit hohen Gewinnversprechen durch Investitionen der Geschädigten in Immobilienprojekte, in den Handel mit existierender Kryptowährung, aber auch die selbst erschaffene Kryptowährung "EXW.-Token". Alles kompliziert verschachtelt, in etliche Firmen und Unterfirmen zerteilt, hochkomplex.
Oder wie es die Staatsanwältin beim mehr als einstündigen Vorlesen der Anklageschrift zusammenfasste: "Wenn Sie das alles jetzt nicht verstanden haben - ich auch nicht."
Mastermind ohne Matura
Der 26-jährige Hauptangeklagte erschien vor Richterin Claudia Bandion-Ortner adrett gekleidet im blauen Anzug, lässig offenem weißen Hemd, perfektem Mittelscheitel und braunen Schuhen mit kurzen Socken.
Er zeigte sich nicht geständig. Sein Verteidiger Michael Ofner betonte in seinen Eröffnungsworten: "So unrealistisch waren die versprochenen Wertsteigerungen nicht. Und es gab immer ein Totalverlustrisiko."
Eine Matura besitzt der Hauptangeklagte übrigens nicht. "Sie haben sich also alles selbst im Job beigebracht", fasste Richterin Bandion-Ortner mit unauffällig dunkler Brille zusammen.
Zuletzt war der Angeklagte, mit auffällig großer Brille, laut eigenen Angaben als Marketingchef einer Online-Bank tätig. Wo er seinen letzte Adresse hatte? Daran konnte sich der Hauptangeklagte nicht genau erinnern.
Bei dem verstrickten Firmengeflecht in unzähligen Ländern, das die Staatsanwältin aus der Anklageschrift vortrug, beinahe nachvollziehbar.
You-Tube-Videos im Gerichtssaal
Wie sich die Angeklagten ihren Kunden, die zu Opfern wurden, verkauften, verdeutlichten You-Tube-Videos, die im Gerichtssaal vorgeführt wurden. Der Hauptangeklagte erneut im Anzug, aber noch mit Bart und einigen Kilos mehr, als Redner bei einem Fest in der Klagenfurter Innenstadt. Dazu Champagner der bevorzugten Luxusmarke und mit Erscheinen im Luxus-Mercedes.
Ein weiteres Video mit grellen Farben, lauter Musik, applaudierenden Menschen. Der Hauptangeklagte mit wiederkehrender Siegerpose: ausgestreckte Hand, ausgestreckter Finger.
Man liebte, was man tat.
Im Gerichtssaal verfolgten die Angeklagten die Videos aufmerksam. Kopfnicken dazu.
Gewinne im Internet vorgegaukelt
Warum die Betrogenen nicht misstrauisch wurden? Weil die Angeklagten sie auf gefakten Internetplattformen regelmäßig über ihre tollen Gewinne informiert haben sollen. Pro Tag wuchsen die Investitionen dort um 0,3 Prozent.
Alles wunderbar veranschaulicht mit bunten Grafiken. Dazu gab es hochpreisige Events, mit denen die Opfer bei Laune gehalten werden sollten.
Sporttaschen voller Geld
"Eine glänzende Fassade. Nach solchen Events sind die Angeklagten mit Sporttaschen voller Geld ins Flugzeug gestiegen", erklärt die Staatsanwältin.
Wie der Hauptangeklagte dabei in Erscheinung trat? Selbstbewusst. Er nannte die EXW-Investoren eine Familie. "Wir werden mit EXW Großartiges vollbringen, wir haben Lösungen für Problem gefunden, die sonst niemand gefunden hat", sagt der Hauptangeklagte in einem anderen You-Tube-Video.
Und auch Probleme redete der 26-Jährige gekonnt weg.
Autist bei Festnahme gemimt
Nur bei seiner Festnahme, offenbar nach einer Party in Oberösterreich im vergangenen Jahr, soll er völlig anders in Erscheinung getreten sein. Laut Staatsanwältin Czedik-Eysenberg mimte er einen Autisten. Schaffte es dann aber noch rechtzeitig sein Handy auf Werkseinstellungen zurückzusetzen.
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Die Anklage umfasst 300 Seiten, 150 Zeugen sind in den nächsten Monaten vorgeladen. Prozesstermine zwei Mal wöchentlich angesetzt.
Dubai und Bali dürfte der 26-Jährige übrigens länger nicht mehr sehen: Ihm drohen im Falle einer Verurteilung 10 Jahre Haft.
Er äußert sich morgen ab 9.20 Uhr vor Gericht.