10-Jahr-Jubiläum von Baumgartners Rekord-Fall durch die Schallmauer
Vor zehn Jahren durchbrach der Salzburger Extremsportler Felix Baumgartner als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer. Der Rekordsprung Stratos in der Wüste von New Mexico hat in vielen Belangen für neue Erkenntnisse gesorgt, allen voran für die Luft- und Raumfahrtprogramme. In einem neuen Dokumentarfilm von Red Bull, der am 10. Oktober Premiere feiert, erinnern sich die Beteiligten vor allem an die bangen Sekunden, als Baumgartner beim Sprung ins Flachtrudeln kam.
Das sogenannte Flat Spinning war schon im Vorfeld viel diskutiert worden. "Es gibt ja kein Handbuch" für das Trudeln im freien Fall, so wie es bei Flugzeugen üblich ist, meinte Baumgartner im Gespräch mit der APA. Er habe im Vorfeld dazu viele Gespräche geführt. "Weil das ja immer Thema war, was mache ich, wenn ich ins Flachtrudeln komme." Auch Experten der EADS (European Aeronautic Defence and Space) waren sich uneins, hätten sogar untereinander zu streiten begonnen, berichtete der mittlerweile 53-jährige Baumgartner. "Da sitzen die besten Leute der Welt und der eine sagt 'schwarz' und der andere 'weiß'."
Probe-Sprünge im Raumanzug
Bis kurz vor seinem Sprung habe er von vielen Seiten noch Ratschläge bekommen. "Manche Dinge kannst du nur rausfinden, wenn du sie machst", so Baumgartner. Im Vorfeld habe er zahlreiche Bungee-Sprünge absolviert, auch mit dem schweren Raumanzug, um das richtige Abspringen zu üben, um ja nicht schon von Anfang an in eine Rotation zu kommen. "Es war ja so wichtig, dass ich stabil wegspringe." Er habe bis zu 20 Sprünge gebraucht, um die perfekte Haltung zu haben, was ihm dann aus der endgültigen Höhe von 38.969,40 Metern auch gelungen ist.
"Ich bin von einer stehenden in eine liegende Position übergegangen", beschrieb Baumgartner dann den freien Fall. "Dann hat es plötzlich angefangen zu drehen. Da hab' ich mir gedacht, ah, jetzt geht es los." Nach ein paar Umdrehungen habe das Trudeln aufgehört. Da dachte sich Baumgartner, dass wieder alles ok sei. "Doch dann drehte es sich in die andere Richtung und es ist immer schneller geworden." In der Rotation versuchte er mit Veränderung seiner Armposition das Trudeln zu stoppen. Doch in der Phase sei die Luft so dünn, dass Bewegungen ganz wenig Auswirkungen hätten.
Sichere Landung
"Es war 'trial and error' (Versuch und Irrtum, wo so lange zulässige Lösungsmöglichkeiten versucht werden, bis die gewünschte Lösung gefunden wurde, Anm.) und Nerven bewahren", sagte Baumgartner. "Da oben bist du relativ hilflos, beschränkt und begrenzt von deinen Möglichkeiten." Für den Notfall hatte er einen Gravitationsmesser am Handgelenk, der nach einer gewissen Zeit und bei einer bestimmten Gravitationskraft einen Stabilisierungsschirm ausgelöst hätte, der das Überleben sichert. In dieser rotierenden Position durchbrach er dann die Schallmauer. Schlussendlich gelang es ihm, das Flat Spinning zu stoppen und sicher auf der Erde zu landen.
Die Federation Aeronautique Internationale (FAI), die sich weltweit um die Datenaufzeichnung von Rekorden in der Luftfahrt kümmert, erkannte mit dem Sprung drei Weltrekorde an. Baumgartner erreichte demnach die Maximalgeschwindigkeit von Mach 1,25 oder exakt 1.357,6 Stundenkilometern, absolvierte den höchsten Absprung von 38.969,40 Metern und den längsten freien Fall mit einer Länge von 36.402,6 Metern. Der Salzburger hat es damit auch ins neue Guinnessbuch der Rekorde geschafft. Den Höhenrekord durchbrach zwei Jahre später Alan Eustace, der aus 41.419 Metern sprang. Damals arbeitete ein Teil von Baumgartners Team auch mit Eustace zusammen. Ob so ein Rekordbruch schmerzt? "Überhaupt nicht, wir hatten ja Kontakt miteinander", so Baumgartner. "Wir haben unseren Teil beigetragen." Die Daten, die durch den Stratos-Sprung gesammelt wurden, wurden ja nicht geheim gehalten. "Wir geben die Daten weiter an jeden, der sie braucht", betonte Baumgartner.
Weltraumtourismus
Der Stratos-Sprung mit seiner fünfjährigen Entwicklungszeit hat vor allem neue Erkenntnisse zur Lebenserhaltung im Weltraum gebracht, was auch für den Weltraumtourismus interessant sein könnte. Raumanzüge bieten heute eine größere Bewegungsfreiheit. Außerdem existieren nun neue Protokolle zum Schutz des Lebens von Piloten, die in großen Höhen fliegen. "Die Auswirkungen auf die Ausbildung und auf die nächste Generation der Raumfahrt- oder Flugversuchsingenieure waren enorm", erklärte der technische Leiter von Stratos, Art Thompson, in der Doku "Space Jump: Wie Red Bull Stratos weltweit für Furore sorgte". "Außerdem haben wir das Lebenserhaltungssystem, das wir für die Kapsel entwickelt hatten, genutzt, um die Konfiguration der Lebenserhaltungssysteme für Höhenflugzeuge wie der Lockheed U-2 (Aufklärungsflugzeug, Anm.) zu überarbeiten."
Das Equipment, das damals verwendet wurde - die Kapsel, der Anzug, der Ballon -, ist bereits in die Jahre gekommen. Derzeit sind sie im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern zu sehen. Nach so vielen Jahren für die Dokumentation wieder in der Kapsel zu sitzen oder in den Raumanzug zu schlüpfen, "da spürst du das wieder. Du bist sofort wieder in dem Thema drinnen. Du erinnerst dich zurück an das Jahr 2012 und das waren schon sehr interessante und spezielle Momente", meinte Baumgartner. Er könne noch genau sagen, wo welcher Knopf in der Kapsel war. "Ich hab' das ja alles auswendig lernen müssen", so Baumgartner. "Vierte Reihe, sechster Knopf war zum Beispiel mein Sauerstoff." Und das habe sich auf ewig in sein Gedächtnis gebrannt. Die Kapsel sei auch ein fliegendes Live TV Studio gewesen, um den Sprung live über 77 Sender und in 50 Länder zu übertragen.
Auch der Druckanzug, der mittlerweile laut Baumgartner nicht mehr strahlend weiß, sondern schon etwas vergilbt ist, habe ihm lange Probleme bereitet. Stunden in diesem Anzug zu verbringen, habe ihn "zu stressen begonnen". Man könne nur schwer darin atmen, man hört nichts mehr und sei "gefangen in seiner eigenen Welt", so Baumgartner. "Es hat auch kurz so ausgesehen, als ob man das Projekt nicht weiterführen hätte können, wenn ich dieses Problem nicht lösen kann." Erst der Psychologe Michael Gervais half ihm, das zu überwinden. "Und das fühlst du alles wieder. Das kommt jetzt alles wieder in die Erinnerung zurück." Neuerlich in dem Druckanzug zu schlüpfen, sei ein "sehr schöner Moment" gewesen. "Ich hätte nicht gedacht, dass es noch irgendwann einmal die Chance gibt, den Anzug auch anzuhaben."
Keine Wiederholung
Auf die Frage, ob der Salzburger einen solchen Stratosphärensprung noch einmal machen würde, kam "ein klares Nein. Ich habe alles, was ich erreichen wollte, mit diesem Sprung, erreicht". Für ihn gäbe es keine neuen Erkenntnisse dadurch. Zudem wolle er sich weder erneut einem so hohen Risiko aussetzen, noch so viel Zeit und Ressourcen investieren, um zur selben Conclusio zu kommen. "Ich bin ja kein Wiederholungstäter", sagte der Extremsportler, der mittlerweile als Kunstflieger bei Airshows auftritt und international Vorträge hält.
Nach dem Stratos-Projekt kündigte er noch an, sich als Rettungshubschrauberpilot ein neues Standbein aufzubauen. Allerdings seien die Vorgaben und Vorschriften für Rettung und Transport sehr streng. "Mir läuft die Zeit davon. Ich kann nur bis zum Alter von 60 Jahren kommerziell fliegen und ich bin ja schon 53. (...) Bis ich eine Bereicherung im Rettungsfliegen bin, dauert es vier, fünf Jahre. (...) Und da bin ich kurz vor der fliegerischen Pension, zumindest was das Gewerbliche betrifft. (...) Ich habe darin keinen Sinn gesehen."
Auf Facebook hatte Baumgartner, der auch abseits seiner Projekte mit seinen Aussagen für Schlagzeilen sorgte, einen Aufruf für die Nachfolge im Stratosphärensprung gemacht. Auf die Frage, wer das sein könnte, lässt Baumgartner, der wegen seiner Aussagen im Netz auch den Negativpreis "Rosa Handtaschl" vom österreichischen Frauennetzwerk Medien bekommen hatte, aufhorchen: "Ich finde es ja cool, wenn es eine Frau wäre." Er sei Frauen gegenüber immer sehr wertschätzend gewesen. Seine besten Lehrmeister seien Frauen gewesen. "Die machen ihr Ding, die lehren dich was, ohne viel Emotion", so Baumgartner. "Ich würde es auch begrüßen, wenn der Rekord von einer Frau gebrochen werden würde", meinte der Salzburger. "Wenn du in die Stratosphäre gehst, der Feind ist immer der gleiche", sagte der Salzburger. Mit den physiologischen Gesetzen hätte schon sein Mentor Joe Kittinger, der den Sprung in den 1960er-Jahren gemacht hat, zu kämpfen gehabt.
"Mir sind Shitstorms egal"
Die Frage, ob er Aussagen, die er in der Öffentlichkeit getätigt hat, bereut, beantwortete Baumgartner mit einem klaren "Nein". Er stehe zu allem, was er gesagt oder gepostet habe. "Ich habe den Luxus und die Freiheit, um das beneiden mich auch viele, meine Meinung sagen zu können." Er bekomme auch viel positives Feedback dafür. "Es wurde medial ein Bild gezeichnet. Und das liegt auch daran, dass ich mir oft nichts gepfiffen hab'. (...) Aber jeder, der mich näher kennengelernt hat, sagt, er habe eine ganz anderen Eindruck jetzt, als er es vorher gehabt hat." Ein politisches Posting von ihm sei schnell in allen Medien, aber dass er Flüge für Kinder organisiert habe, darüber sei nicht berichtet worden. "Aber solange ich solche Begegnungen habe, sind mir solche Shitstorms egal." Nach vier Tagen spreche keiner mehr darüber.
Der Stratos-Jahrestag wird kommenden Freitag im Technik Museum in Speyer in Deutschland gefeiert. An die 15 ehemalige Teammitglieder haben ihr Kommen zugesagt, darunter der Psychologe Mike Gervais und der damalige persönliche Betreuer Andy Walshe. Der mittlerweile 92-jährige Joe Kittinger, dem die Doku gewidmet ist, und der technische Leiter der "Red Bull Stratos"-Mission Art Thompson haben abgesagt.