Chronik/Oberösterreich

Wie braun ist Oberösterreich wirklich?

Die zweimalige Schändung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Morddrohungen gegen den Welser SPÖ-Bürgermeister Peter Koits und den grünen Landtagsabgeordneten Gunther Trübswasser. Gewehrschüsse auf ein islamisches Gebetshaus in Freistadt. Die Attacken auf KZ-Überlebende bei einer internationalen Gedenkfeier in Ebensee. Und zuletzt die Aufdeckung der kriminellen Neonazi-Vereinigung Objekt 21 in Desselbrunn: In den vergangenen Jahren sorgten rechtsextreme Straftaten in Oberösterreich immer wieder über die Landesgrenze hinaus medial für Aufsehen.

Die spektakulären Fälle waren aber nur die Spitze des Eisbergs. Allein in den Jahren 2010 und 2011 wurden seitens der Sicherheitsbehörden insgesamt 171 einschlägige Delikte registriert. Dazu kommt vermutlich eine beachtliche Dunkelziffer von Taten mit rechtsextremem Hintergrund, die von der Exekutive nicht als solche eingestuft wurden. Ein Beispiel ist die Ermordung eines Rumänen in Traun, die – trotz eines Bekennerschreibens des Täters – offiziell nur als „Nachbarschaftsstreit“ ohne politischen Hintergrund klassifiziert wurde.

Hochburg der Rechtsextremen

„Im Bundesvergleich ist Oberösterreich eine Hochburg der rechtsextremen Szene“, betont Robert Eiter, Sprecher des oö. Netzwerks gegen Rechtsextremismus. Der 52-jährige Jurist engagiert sich seit fast 30 Jahren gegen faschistische Auswüchse im Land. Warum dumpf-braunes Gedankengut ausgerechnet in Oberösterreich immer wieder fruchtbaren Nährboden findet, dafür sieht er vor allem zwei Erklärungsansätze. „Die geografische Nähe zu Deutschland spielt sicher eine Rolle“, sagt Eiter. Zwischen rechtsextremen Zirkeln in Bayern und Oberösterreich gebe es traditionell enge Verflechtungen – heutzutage etwa zum Freien Netz Süd (FNS), aber auch zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). „Die Ideologien werden fleißig ausgetauscht – früher ist auch Geld geflossen, jetzt wird vor allem Propagandamaterial weitergegeben.“

Alle Inhalte anzeigen

Ein zweiter Grund, warum Rechtsextremismus hartnäckig Wurzeln schlage, sei historisch bedingt und reiche bis in die Zeit der Gegenreformation zurück. „Diese hat weit über evangelische Familien hinaus zur Ablehnung der römisch-katholischen Kirche, des Habsburger Herrscherhauses und des Wiener Zentralstaates geführt.“ Als Reaktion darauf habe das Gedankengut des deutschnationalen Liberalismus Fuß fassen können, der sich Ende des 19. Jahrhunderts aber weit von seinen liberalen Wurzeln entfernt habe und zu einer chauvinistischen und rassistischen Ideologie geworden sei. Eiter: „Ab etwa 1930 ist das in den Nationalsozialismus gemündet.“ Vor allem im Innviertel, im Salzkammergut und im Großraum Wels seien derartige Milieus verankert gewesen. „Manche Werthaltung wurde an nachfolgende Generationen weitergegeben.“

Letzteren Ansatz bestätigt auch Michael John, Obmann der Lagergemeinschaft Auschwitz und Historiker der Kepler Uni Linz. „Unter Dollfuß war der Protestantismus nur eine Religion zweiter Klasse – das hat viele Familien radikalisiert.“ Weiters verweist er darauf, dass sich in Oberösterreich viele vertriebene „Volksdeutsche“ angesiedelt haben, deren Einstellung deutschnational oder völkisch war. „Und nicht zu vergessen die Akademiker der schlagenden Burschenschaften. Bevor es die Linzer Uni gab, haben Oberösterreicher in Graz, Wien oder Innsbruck studiert und sind Verbindungen beigetreten. Zurück in der Heimat haben sie relativ radikal agiert, um sich speziell zu beweisen.“

Eiters und Johns Thesen bestätigen auch Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW). Ihr Resümee: „Oberösterreich war immer ein Hotspot des rechtsradikalen Spektrums.“

Der Linzer Datenforensiker und Polizist Uwe Sailer gilt in rechtsextremen Kreisen als eine der meistgehassten Personen. Ihm ist zu verdanken, dass immer wieder braune und kriminelle Umtriebe im Netz entdeckt und gestoppt werden können.

Der 56-Jährige war etwa maßgeblich daran beteiligt, dass die mutmaßlichen Hintermänner der Neonazi-Homepage alpen-donau.info (Gottfried Küssel, Felix B. und Wilhelm A.) ausgeforscht und vor Gericht gestellt werden konnten.

„Im März 2009 ist die Website errichtet und ins Internet gestellt worden, im April habe ich schon ungefähr gewusst, wer aller dahinter steckt und begonnen, Beweise gegen diese Leute zu sammeln“, sagt Sailer. Unter seinem Decknamen Askirgoda gelang es ihm, sich in die Foren einzuschleichen und sich auf diese Weise an die Hintermänner heranzutasten. „Der Name hat zwar gar keine Bedeutung, klingt aber nordisch-keltisch. Auf so etwas fahren die Rechten total ab.“

Sailer war es auch, der das Treiben des Neonazi-Clubs Objekt 21 in Desselbrunn bereits im Frühjahr 2010 dokumentiert hatte und den Fall damit ins Rollen brachte.

Für die Rechtsextremen ist er ein rotes Tuch. Mit Drohungen gegen ihn und seine Familie hat der Gerichtssachverständige für Datenforensik inzwischen zu leben gelernt: 2011 fand er beispielsweise einen Henkerstrick in seinem Briefkasten.

Auch mit juristischen Mitteln wird immer wieder versucht, ihn mundtot zu machen – bisher vergeblich. „Es hat schon mehr als 50 Klagen gegen mich gegeben, doch ich hab’ alles gewonnen.“ Auch der ehemalige FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Königshofer zog gegen ihn den Kürzeren. „Er schuldet mir aber immer noch 3000 Euro Schadenersatz und die Gerichtskosten.“

Laut Sailer ist das Internet inzwischen eines der Hauptbetätigungsfelder der rechtsradikalen Szene. „Denen ist wichtig, dass sie ihre Botschaften hinausposaunen können, das geht im Web schnell und einfach.“ Er warnt aber davor, diese Form unter Umständen auf die leichte Schulter zu nehmen. „Was sich heute im Internet abspielt, wird irgendwann auf der Straße umgesetzt.“

Sailer ist übrigens bisher der einzige Polizist, der den mit 3000 Euro dotierten Ute-Bock-Preis für Zivilcourage erhalten hat: „Mir geht es immer nur um den Rechtsstaat.“