Chronik/Oberösterreich/Linz

Frauenmorde in Österreich: „Gewalt in der Privatsphäre ist nie privat“

23 Femizide alleine 2023, zwei davon wurden in Oberösterreich verübt. Martina Maurer ist stellvertretende Leiterin des Gewaltschutzzentrums OÖ. Im KURIER-Gespräch erklärt die Juristin, welche Warnhinweise es auf mögliche Gewalttaten gibt, warum die Zahl der Femizide seit Jahren unverändert hoch ist und welche staatlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Lage nötig wären.

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KURIER: 23 Femizide, 37 Mordversuche, das ist die traurige Bilanz für 2023 bisher. Die Zahl ist seit Jahren konstant hoch.

Martina Maurer: Es hat seitens der Politik und der Gesetzgebung sehr wohl Maßnahmen gegeben. Die Grundprobleme unserer Gesellschaft sind jedoch gleich geblieben: unterschiedliche Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen und Rollenstereotype, die weitergetragen werden.

Das sind die Punkte, die ausschlaggebend sind?

Es gibt dazu eine Studie des Instituts für Konfliktforschung, das fünf Jahre an Frauenmorden untersucht hat, 2016 bis 2020. Es wurden mehrere Risikofaktoren gefunden, warum die Quote an Femiziden relativ hoch ist in Österreich. Fast jeder Femizid hat eine Gewalt-Vorgeschichte, der Mord ist meist die letzte Eskalationsstufe. Jede vierte Frau hat im Vorfeld den Täter schon mal angezeigt wegen Gewalt, bei 20 Prozent hat es bereits eine Wegweisung und ein Betretungsverbot gegeben.

 

Welche Gründe geben Gewalttäter an?

Die Hauptgründe sind Eifersucht und Geld. Eifersucht ist ein Ausfluss des Rollendenkens: Ich bestimme darüber, ob meine Frau sich trennt oder nicht. Egal, welches Motiv der Täter äußert, nichts kann Gewalt oder Mord rechtfertigen.

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Gibt es eine Typologie der Täter, ein Muster?

Was heraussticht: Jeder vierte Täter hat eine psychische Erkrankung, meist paranoide Schizophrenie. Oft spielt Suchtmittelmissbrauch mit. Ebenfalls entscheidend ist die Gewaltbiografie, die Täter waren bereits auffällig. Viele Femizide werden im Vorfeld angedroht. Patriarchales Denken ist ebenfalls ein Signal: Das Verlassenwerden sorgt für eine tiefe Kränkung. Ein weiterer Warnhinweis ist auch der Waffenbesitz. Die letzten beiden Femizide vergangenes Wochenende sind zum Beispiel mit Schusswaffen begangen worden. Manche sind im Vorfeld sehr konkret in ihren Androhungen.

Zum Beispiel?

Ich hatte eine Klientin, der der Täter konkret gesagt hat, wie er sie erschießen wird, wo er ihr hinschießen wird. Er hat das dann tatsächlich in dieser Reihenfolge auf offener Straße gemacht. Das sind regelrechte Hinrichtungen.

Wie kann das passieren: Die Frau erzählt von dieser Bedrohungslage und wird trotzdem umgebracht?

Im konkreten Fall ist der Täter nach der Morddrohung in Untersuchungshaft genommen worden, wurde im Zuge einer Haftprüfung aber entlassen. Wir haben der Frau dringend geraten, aufgrund der Drohungen in ein Frauenhaus zu gehen. Das war der Anlassfall, dass Gewaltopfer nun verständigt werden, sobald Täter aus der U-Haft entlassen werden. Das schafft die Möglichkeit für zusätzliche Schutzmaßnahmen.

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Spüren Frauen im Vorfeld, dass eine Gewalttat passieren könnte?

Es gibt Frauen, die zu uns kommen, ihre Gewaltgeschichte erzählen, da klingeln bei uns alle Alarmglocken. Die Klientin selbst ist aber nicht in der Lage, hinzuschauen, weil sich die Gewalt schon so eingeschlichen hat. Und dann gibt es die, die höchst alarmiert sind. Da finde ich die Berichterstattung in den Medien über Femizide gut und wichtig, weil wir merken, dass die Anzahl derer, die sich melden, weil sie in Gefahr sind, nach jedem Bericht wieder steigt.

In OÖ gab es heuer bis dato zwei Femizide, 2022 waren es gesamt zwei. Das ist im Österreich-Vergleich beachtlich wenig.

Es gibt bei uns viele Polizeieinsätze, es werden viele Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Polizei und Justiz sind alarmiert und sensibilisiert. Wir haben eine hohe Anzahl an sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen, wo alle Beteiligten an einem Tisch sitzen. Dafür darf kurzfristig der Datenschutz aufgehoben werden, weil er manchmal dem Opferschutz entgegensteht. Das muss sein, um ein komplettes Bild der Lage zu bekommen. Da werden konkrete Maßnahmen getroffen. Das ist absolut sinnvoll und wirksam. Aber es gibt natürlich auch bei uns Luft nach oben und Verbesserungsbedarf.

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Frauen müssen geschützt werden, aber es geht auch darum, Buben und Männer zu informieren. Wo sollte wann angesetzt werden?

Je früher, desto besser. Es braucht eine Aufwertung dieser Thematik im Bildungssystem. Gerade Jugendliche haben einen natürlichen Drang, die Welt und die Gesellschaft zu verändern, das sollte man nutzen.

Wie sieht es mit der Sensibilisierung der Zivilgesellschaft aus?

Gewalt in der Privatsphäre ist nicht privat, sondern öffentlich und geht uns alle an. Studien belegen, dass jede 5. Frau zumindest ein Mal im Leben Opfer von Gewalt wird.

Was kann man als Freundin, Nachbarin machen, wenn man den Verdacht hat, dass in einer Beziehung Gewalt stattfindet?

Es ansprechen, am besten, wenn man mit der Person alleine ist. Hinweisen auf Unterstützungseinrichtungen, Begleitung anbieten. Das Allerwichtigste: Nicht verurteilen. Sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen, braucht Ermutigung, den Aufbau von Selbstwert und vor allem Zeit. Und den Betroffenen zusichern: Egal, wie deine Entscheidung aussieht: Ich stehe hinter dir.

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Welche Angebote gibt es im Gewaltschutzzentrum?

Wir bieten psychosoziale und rechtliche Beratung an und erstellen eine Gefährdungseinschätzung. In OÖ hatten wir 2022 mehr als 3.300 Klientinnen, zwei Drittel kommen nach Polizeieinsätzen zu uns. Wichtige Voraussetzung ist die Freiwilligkeit.

Was heißt das?

Nach polizeilichen Einsätzen nehmen wir proaktiv mit den Opfern Kontakt auf. Wenn diese aber sagen, wir brauchen keine Hilfe, dann müssen und wollen wir das akzeptieren.

Was wären wichtige Punkte, die seitens der Politik möglichst schnell umgesetzt werden müssten, um eine Verbesserung der Situation zu erzielen?

Es hat sich viel getan in den letzten Jahren. Das Gewaltschutzgesetz wurde mittlerweile schon zweimal novelliert und nachgeschärft. Es gibt verpflichtende Beratung von Gewalttätern nach einem Betretungs- und Annäherungsverbot, das ist sehr wichtig: Es braucht Täterarbeit, um Opferschutz zu leisten. Es gibt mittlerweile an jeder Polizeidienststelle geschulte Beamtinnen und Beamte. Wir erleben leider immer noch, dass viele Fälle eingestellt werden.

Wieso das?

Das liegt zum Teil daran, dass es im Ermittlungsverfahren hapert, dass Verletzungen nicht ausreichend dokumentiert werden. Weitere Ansatzpunkte wären zusätzliche Schulungen für die Richter- und Staatsanwaltschaft sowie für die Polizei zum Thema Gewaltschutz. Eine Sorge, die ich habe, ist Ausdünnung bei der Justiz und der Polizei, es gibt eine Pensionierungswelle. Es braucht genug Frauenberatungsstellen und deren Absicherung. Sie sollen nicht jährlich um ihre Förderungen kämpfen müssen.

Gewaltschutzzentrum OÖ: 0732/607760, www.gewaltschutzzentrum.at/ooe, www.frauenberatung-ooe.at