Chronik/Oberösterreich

Digitales Streetwork: Im Internet aktiv gegen Extremismus vorgehen

Es ist nach Mitternacht, in den Chats und Foren des Webs geht es rund. Es wird diskutiert, geflirtet - und politisiert.

In den Tiefen und Untiefen sozialer Medien passiert unter Jugendlichen immer öfter das, was Experten Radikalisierung nennen: Inszenierte Beiträge zu tagespolitischen Ereignissen, realitätsferne Rollenbilder und ein düsterer Blick auf zukunftsträchtige Themen dominieren den Austausch.

Um Extremismus und Radikalisierung bestenfalls schon dort abzufangen, wo sie passieren, setzen das Land OÖ und der OÖ. Familienbund nun auf ein besonderes Projekt: digitales Streetwork.

Krawalle in der Halloween-Nacht

Nach einer zweimonatigen Pilotphase geht es nun offiziell los. Ausschlaggebend für die Installierung des digitalen Streetworks mit eben jenem spezifischen Schwerpunkt, waren die Ausschreitungen in der Halloween-Nacht 2022 in Linz: Damals hatten auf der Linzer Landstraße zahlreiche Personen randaliert. Es waren Böller und verbotene Feuerwerkskörper gezündet, Flaschen und Steine auf Passanten, Polizisten sowie auf die Oberleitung der Straßenbahn geworfen worden. 129 Personen - davon fast zwei Drittel Jugendliche - wurden angezeigt.

"Die Radikalisierung Jugendlicher hat sich mit dem Nah-Ost-Konflikt rund um Israel und Gaza merkbar verstärkt. Da geht es etwa um die Verherrlichung von Terrororganisationen wie die Hamas. Diesen Entwicklungen wollen wir bewusst gegensteuern", sagt Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer, ÖVP.

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Das Angebot des digitalen Streetwork ist kostenlos und anonym. Vier speziell ausgewählte Streetworker versuchen, mit jungen Menschen zwischen 12 und 27 Jahren in unterschiedlichen Social-Media-Kanälen in Kontakt zu kommen, auf Radikalisierungstendenzen zu reagieren, an verschiedene Beratungsstellen zu verweisen und verlässliche Ansprechpersonen zu sein.

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"Meine Mitarbeitenden sind abends und nachts aktiv, wenn die meisten Jugendlichen online unterwegs sind. Wir haben also Öffnungszeiten, die andere Einrichtungen gar nicht abdecken können." 

Efgani Dönmez, ehemaliger Nationalratsabgeordneter, ist Leiter des Projekts. Sein Team hat er sich ganz bewusst divers zusammengestellt: "Die meisten haben selbst Migrationshintergrund, sind also aus der Community. Ein Sozialarbeiter kommt etwa aus Syrien, hat hier über den Bildungsweg den Aufstieg geschafft. Eine andere Mitarbeiterin stammt aus Tansania und spricht Suaheli."

Kein Platz für Hass

Eine Besonderheit des Projekts: Seit Beginn gibt es wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung durch die FH Oberösterreich.

Konkret solle durch das digitale Streetwork verhindert werden, dass der digitale Raum zum Brandbeschleuniger für Spaltung und Radikalisierung wird. "Hass und Extremismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft, das ist ein freies, demokratisches Land", so der Obmann des oö. Familienbundes und Linzer Vize-Bürgermeister, Martin Hajart, ÖVP.

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Besonders gefährlich seien die Algorithmen der verschiedenen Plattformen, die dafür sorgen, dass Nutzerinnen und Nutzern genau jene Inhalte angezeigt werden, die sowieso bereits massiv konsumiert werden. Festgefahrene Meinungen und Rollenbilder werden dadurch weiter einzementiert. Speziell die Plattform Tiktok sei gefährlich: "Dort sind unter anderem so genannte Influence-Preacher der extremistisch-salafistischen Szene unterwegs, die Terrorakte verharmlosen", sagt Hattmannsdorfer.

  • Eine Umfrage unter 6.700 österreichischen Schülerinnen und Schülern ergab, dass Kinder und Jugendliche täglich 213 Minuten am Smartphone verbringen.
  • Sieben von zehn befragten Jugendlichen gaben an, dass Tiktok, Snapchat & Co. zwar Zeitfresser seien, sie jedoch nicht davon loskämen.
  • Sechs von zehn Jugendlichen meinten außerdem, dass ihnen die Spaltung der Gesellschaft durch soziale Medien Sorge bereite.

Bis dato wurden in der Pilotphase des digitalen Streetwork 149 Jugendliche betreut, 135 Personen haben über Chats kommuniziert, 14 telefonisch. Der am häufigsten genutzte Kanal dabei ist Snapchat.

Dönmez setzt nach: "Es ist traurig, wenn Religion für politische Zwecke missbraucht wird." Bei der Kommunikation mit den Jugendlichen sei es entscheidend, nicht belehrend zu agieren, "das führt im schlechtesten Fall zum Kontaktabbruch." Und dann eventuell tiefer in die Radikalisierung.