Kind in Hundebox: Anwalt will 150.000 Euro vom Land NÖ
Von Patrick Wammerl
Im Fall um einen mittlerweile 14-Jährigen, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und wochenlang gequält wurde, hat Opferanwalt Timo Ruisinger Amtshaftungsansprüche gegen das Land Niederösterreich außergerichtlich eingebracht. In einem Schreiben vom Montag werden von dem Juristen 150.000 Euro Schmerzengeld und eine Haftung für sämtliche zukünftige Schäden des Buben gefordert.
Das Land hat nun drei Monate Zeit, sich in der Causa zu äußern.
Keine adäquate Reaktion der Behörde
In dem der APA und dem KURIER vorliegenden Schreiben stützt der Opferanwalt seine Forderungen darauf, dass die betreffenden Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen a. d. Thaya „völlig unzureichend, somit rechtswidrig und schuldhaft auf die dramatische und lebensgefährliche Situation“ des Buben reagiert hätten.
„Durch die nicht adäquate Reaktion“ sei ein Schaden entstanden, der sich „einerseits auf seine körperliche Unversehrtheit, insbesondere jedoch auf seine psychische Gesundheit ausgewirkt“ habe, so Ruisinger.
Bezug nimmt Ruisinger vor allem auf die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe, die auch Ende Februar im Laufe des Geschworenenprozesses am Landesgericht Krems beleuchtet worden war.
Am 28. Oktober und am 18. November 2022 - vier Tage, bevor das Kind ins Koma fiel - gab es unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn.
Binnen 17 Tagen seien zuvor zwei Gefährdungsmeldungen von verschiedenen Institutionen bei der BH eingelangt, „die unterschiedliche Problemfelder aufzeigten“, wird betont.
In der Schule des Kindes wurden Verletzungen bemerkt, außerdem war das Kind abgemagert und hatte ständig Hunger. Eine zweite Gefährdungsmeldung folgte vom Landesklinikum Zwettl.
6 Tage passierte nichts
Die Reaktion seitens des Sozialarbeiters bzw. der BH Waidhofen/Thaya auf die zweite Gefährdungsmeldung war, dass sechs Tage nichts geschah und danach lediglich ein Gedächtnisprotokoll über die Dringlichkeit erstellt wurde. Obwohl laut Gefährdungsmeldung "irreversible Schäden" drohten, wurde weder ein Hausbesuch durchgeführt noch persönlicher Kontakt zum Kind gesucht, so Ruisinger.
"Knapp dem Tod entkommen"
Bei den beiden Hausbesuchen wurden vom federführenden Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe zwar Auffälligkeiten geortet, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen. Das Kind blieb bei der Mutter.
"Diese gravierende Fehleinschätzung hatte zur Folge, dass der Bub nur vier Tage später in einem lebensbedrohlichem Zustand in das Spital eingeliefert wurde und nur knapp dem Tod entkommen konnte", heißt es in dem Schreiben des Opferanwaltes an das Land Niederösterreich.
Gestützt ist die These auf Ausführungen eines Sachverständigen im Prozessverlauf, wonach es medizinisch auszuschließen sei, dass der Zwölfjährige am 18. November noch fit bzw. gesund gewesen sei.
Für den heute 14-jährigen Buben wird daher ein angemessenes Schmerzengeld in der Höhe von 150.000 Euro geltend gemacht, erklärt der Opferanwalt. Da "Spät- und Dauerfolgen evident sind", will Ruisinger eine Haftungsübernahme des Landes für sämtliche zukünftige Schäden des Kindes.
Das Land Niederösterreich hat drei Monate Zeit um eine Erklärung abzugeben, ob die Ansprüche anerkannt werden oder nicht.
"Zahnlose" Kommission scheitert mit Prüfung
Um unabhängig vom Strafprozess zu überprüfen, ob bei der Vorgangsweise der zuständigen Abteilung Fehler passiert sind, hatte die zuständige Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) eine Überprüfung des Falles durch eine unabhängige „Kinderschutz“-Kommission angeordnet. Diese Überprüfung scheiterte jedoch in ihren Grundzügen.
Zwar gab die Kommission sieben allgemeine Empfehlungen ab. Wegen der Rechtsvorgaben der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Abteilung Bildung und Gesundheit des Landes war kein Einblick in den besagten Fall möglich. Die Kommission sei daher rasch an die Grenzen des inhaltlichen Austausches über den Anlassfall gestoßen, heißt es.
Aufgrund von im Gerichtsverfahren bekanntgewordenen Details wurde seitens des Landes später eine nochmalige Prüfung des Falls veranlasst. Untersucht werden soll von der Fachaufsicht, „ob alle rechtlichen und fachlichen Standards“ eingehalten wurden.
Diese Prüfung befindet sich in Finalisierung, sagt Ulrike Königsberger-Ludwig. Was die Forderungen des Opferanwaltes anbelangt, kenne sie die Details noch nicht.
Der Anlassfall sorgte über die Landesgrenzen hinweg für Entsetzen. Die 33-jährige Mutter hatte ihren Sohn geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben. Am 22. November 2022 hatte sich das Kind in akut lebensbedrohlichem Zustand befunden. Der Zwölfjährige überlebte wegen des Einschreitens einer Sozialarbeiterin, die der Familie aufgrund einer Beratung bekannt war.
Als Komplizin der Kindsmutter hatte eine damalige Freundin der Waldviertlerin agiert.
Die 33-Jährige hatte in dem Geschworenenprozess wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung 20 Jahre Haft erhalten. Ihre ehemalige Freundin fasste wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin 14 Jahre aus. In beiden Fällen wurde zudem die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig, weil die Verteidiger Rechtsmittel eingebracht haben.