"Einschläfern" lässt sich der Nitsch nicht
Hermann Nitsch steht in der Tür und begutachtet die Gäste. Ganz in Schwarz gekleidet, auf einen dunklen Holzstock mit silbernem Hundekopf gestützt. Seine Frau Rita lässt Kaffee und Wasser auftischen. Im Hause Nitsch, dem Schloss Prinzendorf im nö. Weinviertel, herrscht auf dem ersten Blick die heile Welt. Im gepflegten Garten rufen die Pfaue, die sich mit Hühnern und Gänsen das weitläufige Areal teilen.
Doch seit ein paar Monaten hält die Finanz ihre Hand über das Schloss – sie hat sich das Pfandrecht sichern lassen. "Sogar den Weingarten mit 33 Ar haben sie genommen", schüttelt Hermann Nitsch den Kopf.
Mitte März fuhr die Finanzpolizei vor, der KURIER berichtete. Dutzende Beamte beschlagnahmten Akten und Schriftstücke, ließen den Tresor öffnen. Der Verdacht: Abgabenhinterziehung. Das Künstlerpaar soll Bilder schwarz verkauft haben.
Die Ermittlungen dazu laufen noch. Das Ehepaar Nitsch hat sich mit Äußerungen dazu bisher zurückgehalten, die Anschuldigungen aber von Anfang an zurückgewiesen. "Wir wollen das nicht sinnlos aufwühlen. Aber es wurmt uns, dass wir uns nicht wehren können", sagt Hermann Nitsch.
Während die Finanz zur Razzia anrollte, war das Paar in Deutschland. "Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich erfahren habe, was da passiert", sagt der Künstler. Und er ärgert sich: "Wie man in Österreich mit Künstlern umgeht, insbesondere mit mir."
" Die sind bewusst gekommen, als wir beide nicht da waren. 80 Leute sind plötzlich da gewesen", sagt Rita Nitsch. "Da hätte man schon ein Spiel machen können (gemeint ist das bekannte wie umstrittene Sechstagespiel von Hermann Nitsch, Anm.)." Dazu standen das Kamerateam von FPÖ-TV und Reporter einer Tageszeitung vor der Tür.
Die Finanzpolizei ermittelt seither. Vom Ministerium gibt es keine Auskünfte. Steuergeheimnis.
Doch die Nitschs sind sauer: "Würden die Vorwürfe stimmen, könnten wir jedes Jahr Spiele veranstalten."
Denn ermittelt wird wegen Steuerhinterziehung in der Höhe von mehr als drei Millionen Euro. Bisher wurde das Paar noch nicht zu den Vorwürfen befragt. "Wir wollen das schnellstmöglich beenden können. Und wir hoffen, dass wir ordentlich behandelt werden."
Die Causa setzt dem Künstlerpaar zu. "Wir leben in Angst", sagt Rita Nitsch. "Das ist wie in der Inquisition", sagt Hermann Nitsch. "Ich bin außerstande, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Der Nitsch geht anders damit um", sagt Rita Nitsch und bekommt gleich eine Bestätigung ihres Mannes. "Diese Umstände aktivieren mich. Ich habe solch einen Zorn." Obwohl: Seiner Gesundheit wäre die Geschichte nicht zuträglich gewesen.
"Entweder wir hören auf und lassen uns in der Schweiz einschläfern", sagt Rita Nitsch – "also ich lass mich nicht einschläfern", fällt der Künstler ihr ins Wort und lacht – "oder wir sammeln unsere Kräfte und machen weiter unsere Arbeit."
Keine Rachegelüste
Und in Richtung jener, die sie bei der Finanzpolizei angeschwärzt haben – konkret geht es um Privatdetektiv Dietmar Guggenbichler und eine ehemalige Mitarbeitern – lässt Rita Nitsch ausrichten:
"Die sind genug gestraft mit ihrem Charakter. Ich habe keine Rachegelüste."
Aber Zukunftssorgen. Weil sie nicht wisse, was nun passiert. "Wenn wir hier alles verkaufen müssen, dann will ich weg aus Österreich."
Doch vorerst denke man ans kommende Pfingstfest. Und da zeigt die unfreiwillige Medienpräsenz Wirkung. Es gibt Anmeldungen aus Mexiko und den USA. "Da erleben wir einen Akt der Solidarität", meint Hermann Nitsch. "Die Leute zeigen uns ihr Wohlwollen."
"Und es werden auch viele Neugierige kommen, die wissen wollen, was wir mit unserem Schwarzgeld machen", lacht Rita Nitsch.
Und dann laufen die Planungen für das nächste Sechstagespiel. Das musste zwar verschoben werden, weil im März 2013 Einbrecher 500.000 Euro aus dem Tresor geräumt hatten, die für das Spiel gedacht waren. Aber für Nitsch ist das Thema aktuell. "Ich habe die Spiele bisher durch die Malerei finanziert. Ich bin dran, auch jetzt das Geld aufzutreiben."
Zur Person
Der Künstler Hermann Nitsch wurde 1938 in Wien geboren. Seit 1957 verfolgt er die Idee des „Orgien Mysterien Theaters“, eines Gesamtkunstwerks, das alle Sinne beansprucht. Nitsch erregte damit viel Anstoß; wegen diverser Konflikte musste er drei Mal ins Gefängnis und bekam in Österreich ein Berufsverbot auferlegt. Nitsch lebte von 1967bis1977 im Ausland. Seine erste Frau Beate starb 1977, verunglückt bei einem Autounfall. 1985 lernte der Künstler Rita Leitenbor kennen, die er 1988 heiratete, und mit der er im Schloss Prinzendorf lebt.
Das Schloss
Ort der KunstSchloss Prinzendorf im Weinviertel wurde 1971 von Nitsch aus dem Besitz der Klosterneuburger Chorherren erworben. Er kannte das Schloss schon von Kindheit an, denn er war als kleines Kind öfter zu Besuch bei Verwandten mütterlicherseits in der Ortschaft. Das Schloss liegt südlich erhöht über dem Ort. Der Bau
entstand 1751 durch den Camaldulenser-Orden. Der lang gestreckte, dreigeschoßige Bau mit kürzeren, hofseitigen Seitenflügeln besitzt eine streng klassizistische Fassadengliederung. Der Künstler versteht es als zentralen Ort für seiner Kunst. Am 8. Juni findet dort das Pfingstfest mit Heurigenessen und Blasmusik statt (ab 13 Uhr, Eintritt 20 €). Infos dazu finden Sie hier.
KURIER: Sie wollten heuer ein Sechstagespiel in Prinzendorf stattfinden lassen. Was genau war da geplant?
Hermann Nitsch: Ich arbeite eigentlich immer an der Verfeinerung dieser einen großen Sache, einem Sechstagespiel des Orgien-Mysterien-Theaters (OM). Alles was daneben passiert, sehe ich als Studien dafür. Das Spiel ist keinesfalls abgesagt. Es steht im Zentrum all meiner Bemühungen.
Rita Nitsch: Es sollte das schönste Fest der Menschheit sein, das alle fünf Jahre hier stattfindet. Aber weder finanziell noch physisch konnte es öfter sein, als wir es bisher gemacht haben. Wir haben für heuer darauf gespart. Das Geld wurde uns gestohlen.
Das bisher einzige Sechstagespiel fand 1998 statt. Wie sieht der Plan aus, nun doch ein weiteres zu organisieren?
Hermann Nitsch: Ich muss jetzt schauen, dass ich Geld auftreibe. Ich habe immer durch meine Malerei mein Theater finanziert.
Es gibt einen Verein zur Förderung des OM-Theaters und eine Nitsch Foundation. Sind das die Säulen, die diese Unternehmungen finanzieren?
Der Verein zahlt einen gewissen Mitgliedsbeitrag, und es sind immer wieder Freunde dabei gewesen, die vor Spielen Spenden geleistet haben. Aber über diesen Weg konnten wir das nicht realisieren. Die Nitsch Foundation wurde von Freunden von uns gegründet, die gesehen haben, dass wir mit diesem großen Spektrum – Aktionen, Malen, Musik aufführen, Ausstellungen machen – überfordert waren. Die Foundation unterstützt uns bei diesen Aktivitäten.
Stellt also die Foundation das Geld für die Aktionen auf?
Hermann Nitsch: Darf ich Ihnen sagen: Das weiß ich selber nicht.
Rita Nitsch: Beim Sechstagespiel war es so, dass wir wichtige Sammler – Karlheinz Essl, Christian Graf Duerckheim und noch ein paar andere – angesprochen und ihnen gesagt haben, wenn sie uns im Vorhinein Geld geben, können sie danach Kunstwerke, Relikte der Aktion bekommen. Duerckheim hat damals die dreibändige Partitur gekauft, Essl hat sich sehr viele Relikte ausgesucht.
Gibt es diese Struktur der Unterstützung nach wie vor?
Rita Nitsch: Wir würden es nach wie vor anstreben, das so zu machen. Aber natürlich brauchen wir auch Erspartes.
Wie wichtig ist es, ein persönliches Archiv zu erhalten, das nicht veräußert wird?
Rita Nitsch: Es ist schon sehr wichtig. Wir haben die Absicht, dass dieses Schloss einmal Spielstätte und Museum wird. Und da haben wir – und besonders ich – darauf geachtet, dass aus jeder Malperiode wichtige Bilder bei uns bleiben. Wo ja jetzt diese ehemalige Mitarbeiterin, die ja absichtlich lügt, sagt, die habe ich alle irgendwie versteckt.
Ist die Nitsch Foundation jene Stiftung, der das Archiv gehört?
Rita Nitsch: Nein, das Archiv gehört Hermann Nitsch persönlich. Wir waren schon seit Jahren dabei, eine eigene Stiftung zu gründen. Nur haben die Finanzbehörden sich jetzt ja ins Grundbuch eingetragen, und so können wir diesbezüglich gar nichts unternehmen. Diese Stiftung hatte den Zweck, Nitschs Theater fortzuführen, und dazu sollte sie das Schloss und die Bilder bekommen. Für Projekte und Theater müsste man die verkaufen.
Laut dem Branchenblatt Informationsdienst Kunst ist die Künstlerin Katharina Biber eine zentrale Figur, wenn es darum geht, das aktionistische Werk Nitschs weiterzuführen.
Rita Nitsch: Es gibt mehrere Leute, auch Katharina Biber, die schon oft mitgewirkt haben und sich auskennen, wie das zu funktionieren hat.
Hermann Nitsch: Ich hoffe schon, dass es mir möglich ist, nach meinem Tod eine gute Mannschaft zu hinterlassen, die in der Lage ist, die Sache auch künstlerisch einwandfrei zu verwirklichen.
Kann man Sie sich als strengen Rechner vorstellen, wenn es um die künstlerische Planung einer Aktion geht? Eine Nitsch-Aktion ist ja grundsätzlich etwas Ausuferndes.
Hermann Nitsch: Ich lebe bei der Realisation meines Theaters immer davon, dass die Grenzen überschritten werden. So ist mir die Musik ein großes Anliegen. Das Orchester wird immer größer als es sein soll – oder eben, es wird so groß, wie es sein soll.
Rita Nitsch: Da muss sich sagen, dass er sich da an keine Richtlinien hält (lacht).
Hermann Nitsch: Aber da bin ich nicht allein. Das geht anderen Künstlern genauso.
Wie geht es Ihren Mitstreitern dabei?
Hermann Nitsch: Die Musiker muss ich fast alle bezahlen, auch die Handwerker, die die Geräte bauen. Aber meine größten Förderer sind die Akteure. Das sind meistens Studenten – denen kann ich nur Kost und Verpflegung zahlen. Sie können sich allerdings ordentlich ansaufen (lacht). Müsste ich die bezahlen, bräuchte ich gar nicht erst anzufangen.