Chronik/Niederösterreich

„Damit kann ich den ganzen Gerichtssaal hier töten“

Arsen macht fit. Es kommt nur auf die Menge an. Früher fütterte man Pferde damit, das ließ ihr Fell glänzen und die Muskeln wachsen. Auch die Rossknechte naschten davon,um sich für die harte Arbeit zu „dopen“. Damals hieß es: „Ein Gerstenkorn macht Wangen rot, ein Erbsenkorn macht sicher tot.“

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Im Fall der vergifteten Pensionisten Herbert Ableidinger aus Wien und Alois F. aus Stratzdorf, NÖ, müssen es große Erbsenkörner gewesen sein. Die Sachverständigen können rekonstruieren, wann ihnen – zu der Zeit jeweils bekocht von der 52-jährigen Polin Bogumila WojtasArsen ins Essen gemischt worden ist. Gerichtsmediziner Professor Christian Reiter demonstrierte den Geschworenen vor dem Urteil im Kremser Doppelmordprozess mit einem Diavortrag, wie aus gesunden Männern mit „ein paar Wehwetscherln“ rapide Sterbenskranke geworden sind.

Zeit-Lineal

Die mit Laserstrahl abgetasteten Fingernägel (in denen das Arsen Querrillen hinterlassen hat) der exhumierten Leichen dienten als „Lineal der Zeit“, das sich exakt mit den Krankengeschichten abgleichen ließ: Der 68-jährige Herbert Ableidinger bekam drei Mal Arsen, was jedes Mal die Einlieferung ins Spital zur Folge hatte. Nach dem zweiten Mal wäre bei Entdeckung noch eine Entgiftung möglich gewesen, die dritte Dosis war dann tödlich.

Alois F. bekam zwei Mal Arsen, es wirkte rascher, obwohl bei ihm durch eine Dialyse das Gift zum Teil herausgewaschen wurde. Wegen dieser Blutwäsche war es später auch schwerer nachweisbar. Bei Ableidinger war die tödliche Menge von Arsen in der Leber um das 100-fache und in der Niere um das 1000-fache erhöht.

Bleibt die Frage: Wo kam das Arsen her? In diesem Punkt lässt sich Prof. Reiters Gutachten auch als Anleitung lesen. „Über ebay kann ich mir im Internet sofort 200 Gramm Arsen für 107 Euro beschaffen und damit den ganzen Gerichtssaal hier töten“, erklärte der Gift-Experte. Oder man besorgt sich als Mineraliensammler in aufgelassenen Bergwerken in Polen, nahe des Heimatortes von Bogumila Wojtas, Arsenik. Das sind kleine Kügelchen, die beim Schmelzen (Herauslösen) von Arsen-Schwefel-Verbindungen aus Eisenerz oder beim Gold- und Silberabbau entstehen.
In Essig aufgekocht oder zu Pulver zermahlen könne man das unbemerkt, weil ohne eigenen Geruch und Geschmack, in jedes Essen mischen. Womit – wie Reiter rasch hinzufügte – nicht gesagt sei, dass die Angeklagte so gehandelt haben muss, aber womit alles gesagt ist.

Nicht ganz. Verteidiger Timo Gerersdorfer wollte noch wissen, wie das Problem der richtigen Dosierung zu lösen sei. Ganz einfach, sagt Reiter: „Ausprobieren. Will man nur schädigen, nimmt man eine geringe Menge, will man töten, dann erhöht man mal zehn.“
Und woher bezöge so jemand sein Wissen? „Aus dem Internet oder aus Schulbüchern in Chemie. Aber es reicht auch das in der ländlichen Bevölkerung weit verbreitete Volkstumswissen.“

Keine Zahlungen

Damit zog sich das Volk, repräsentiert durch acht Geschworene, am Donnersta gegen 16 Uhr zur Beratung zurück. Mit auf den Weg nahmen sie noch die Schlussworte der Angeklagten. Diese lehnte jegliche Zahlung an die Angehörigen der Toten strikt ab (Ableidingers Tochter Karin Ojukwu fordert über ihren Anwalt Ernst Brunner 60.000 Euro für die von der Polin verkaufte Wohnung des Vaters in Wien): Sie habe, erklärte Bogumila Wojtas, niemandem geschadet und nie in ihrem Leben Gift in der Hand gehabt.

Der Verteidiger streute in seinem Plädoyer noch Zweifel daran, dass die 52-Jährige das Arsen verabreicht haben müsse.
Wer sonst? Man könne seiner Mandantin nicht zumuten, dass sie Ehemann und Sohn belaste. Mittwoch standen im Auftrag der Staatsanwältin schon Polizisten bereit, um die aus Polen angereisten Männer zu verhaften, falls sich bei ihren Zeugenaussagen ein Verdacht ergeben sollte. Dazu kam es aber nicht.