Chronik/Burgenland

Hamas-Prozess: Freispruch für Angeklagten

Ein Sohn eines Mitbegründers der radikalislamischen Terrororganisation Hamas steht am Mittwoch in Eisenstadt vor Gericht. Dem 42-Jährigen werden die Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation vorgeworfen.

Er soll laut Anklage Informationen für den militärischen Flügel der Hamas gesammelt haben. Der Prozess gegen den Palästinenser findet unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt, KURIER-Redakteur David Marousek ist dabei und wird berichten.

Der Angeklagte soll unter anderem Informationen über iranische Juden in Israel, die Tätigkeiten des israelischen Geheimdienstes Mossad und jüdischer Investoren in Afrika sowie vergangene Raketeneinschlagsziele in Israel gesammelt und weitergegeben haben - zunächst von 2004 bis 2017, dann wieder ab Anfang bis zumindest Mitte 2019.

Keine Fotos oder Videos

Der Prozess gegen den Mann, der 2021 als Flüchtling über die burgenländische Grenze nach Österreich eingereist ist, ist vorerst nur für einen Tag, bis 15.30 Uhr, angesetzt. Während der Verhandlung herrscht Fotografier- und Videoverbot. Die Mitglieder des Schöffensenates dürfen namentlich nicht bekannt gemacht werden.

Start der Verhandlung

Der Beschuldigte wird mit fünf Justizwachen in den Saal geführt. Im Gerichtssaal unterstützt ihn eine Übersetzerin. Er gibt an staatenlos zu sein. Der Angeklagte lernt und übt laut eigenen Angaben den Beruf des Kochs aus.

Er habe die Matura, ein Studium jedoch nach einem Jahr abgebrochen. Für vier minderjährige Kinder gibt es eine Sorgepflicht. In Österreich ist der Mann nicht vorbestraft, jedoch gibt es mehrere Vorstrafen in Israel. Darunter waren unerlaubter Aufenthalt, Einbruch in ein Auto - was der Mann bestreitet - und Fälschung. Er sei in Israel auch in Haft gewesen. 

Die radikale Palästinenserorganisation hat das Ziel Israel mit militärischen Mitteln zu besiegen und einen islamischen Staat zu errichten. Es gibt einen militärischen und einen politischen Flügel der Organisation. Militärisch wird vor allem mit Terroranschlägen und Raketenangriffen - auch gegen die Zivilbevölkerung - gearbeitet. Die Bewegung agiert vor allem in Palästina, sowie via Büros in anderen Ländern. Rund eine Milliarde US-Dollar beträgt der geschätzte Umsatz der Organisation.  

Staatsanwaltschaft: "Er war Informationsbeschaffer"

Laut Ermittlungen habe der Angeklagte seit 2004 für die Hamas gearbeitet. Seine Tätigkeit könne man als "Informationsbeschaffung" und "Geheimdiensttätigkeit" bezeichnen. Er sei in seinem Bereich sogar so gut gewesen, dass der israelische Geheimdienst wegen einer Zusammenarbeit anfragte. Von der Konkurrenzorganisation "Fatah" sei er angegriffen und verwundet worden. 

2017 floh der Beklagte aus Palästina nach Europa, aufgrund fehlender finanzieller Mittel führte ihn sein Weg in die Türkei. Dort sei er erneut von hochrangigen Hamas-Mitgliedern abgeworben worden. Im "Büro für Zivilschutz" habe er Informationen für Raketen-Anschlagsziele beschafft. 

Unter anderem auch für den Raketenangriff am Gazastreifen im Jahr 2019. Schlussendlich landete der Beschuldigte im Burgenland und distanzierte sich zuletzt von der "korrupten" Hamas. Von seiner Familie sei er zuletzt diskreditiert und verstoßen worden. Laut Staatsanwaltschaft habe der Angeklagte sich zuletzt als psychisch beeinträchtigt dargestellt. 

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Angeklagter behauptet: "Ich bin unschuldig"

Die Anklageschrift sei dem Beschuldigten zugestellt worden, er habe sie laut eigenen Aussagen jedoch nicht gelesen, weil "ich unschuldig bin". Er bekennt sich laut seinem Verteidiger unschuldig: "Die einzige Schuld die er trägt, ist die Erbschuld. Er war niemals Hamas-Mitglied."

Der Angeklagte habe alle früheren Aussagen wiederrufen und sei niemals Hamas-Mitglied gewesen, sondern für den israelischen Geheimdienst gearbeitet haben. Laut Verteidiger habe es zahlreiche Falschmeldungen in den Medien, gestreut durch verschiedene Stakeholder, gegeben.

Mittlerweile würde der Beschuldigte laut seinem Verteidiger "die Welt, den österreichischen Staat und die Gerichtsbarkeit nicht mehr verstehen".

Im September 2010 hat die Organisation vor dem Gericht der Europäische Union Klage eingebracht, um von der Liste der Terrororganisation gestrichen zu werden. Das Gericht hat 2014 den Beschluss des Rates aus Verfahrensgründen für nichtig erklärt. Der Rat „Auswärtige Angelegenheiten" beschloss im Jänner 2015 Berufung einzulegen, das Urteil wurde für die Dauer ausgesetzt. 

2021 hat die Hamas die Klage vor dem europäischen Gerichtshof verloren und verbleibt weiterhin auf der EU-Terrorliste. Die Europäische Union darf weiterhin Strafmaßnahmen verhängen.

"Ich wollte hier das schöne Leben"

In seiner Befragung vor Gericht gibt der 42-Jährige an "neutral" zu sein. Sein Vater habe es nicht gerne gesehen, dass er in Israel gearbeitet habe. Die Familie des Angeklagten habe abgelehnt, dass er israelische Freunde gehabt habe. Er erwähnt auch mehrmals, dass er die israelische Küche sehr gut kochen könne.

In Europa habe er das schöne Leben erreichen wollen und Asylstatus erlangen. Die Anträge seien unter anderem in Deutschland und den Niederlanden abgelehnt worden. Deutschland habe er nur verlassen, weil er die EU für sechs Monate ausreisen musste, um anschließend erneut einreisen zu können. Er habe während dieser Zeit bei seinem Bruder in der Türkei gewohnt und in Restaurants gearbeitet.

"Ich bin nicht James Bond und in keiner Privatmission unterwegs"

Angeklagter

Der 42-Jährige wollte es seinem Bruder, der laut ihm in den Vereinigten Staaten wohnt und Schutz des Geheimdienstes CIA genieße, nachmachen. In Europa versuchte er den Status des politischen Asyls zu erlangen.

Für politischen Asylstatus gelogen

Vor Gericht behauptet der 42-Jährige, seine ersten Aussagen bei der Befragung durch die Polizei seien von ihm erfunden worden: "Alles was ich da erzählt habe, war eine Lüge, um einen Asylstatus zu erlangen. Das entspricht nicht der Wahrheit." Er habe nie für die Hamas gearbeitet.

Das Gewand, welches er bei Auslandsinterviews getragen hat, habe er von der Team Österreich Tafel bekommen. Es sei Secondhand und nicht selbst finanziert. Der Angeklagte wird immer lauter und von der Richterin darauf hingewiesen, dass er "schreien kann so viel er will" - ohne Erfolg.

"Nur weil man einen Verbrecher kennt, ist man nicht selbst einer."

Angeklagter

In der Türkei habe er ebenfalls nicht für die Hamas gearbeitet: "Die Türkei ist ein Land des Tourismus, dort gibt es überhaupt keine Hamas. Die ist in Gaza, fragen sie den Botschafter."

Für die Interviews, unter anderem Sky Arabia, habe er eine andere Geschichte vorbereitet. Dort habe er sich als Ex-Mitglied präsentiert, die Organisation jedoch diskreditiert. Es sei für ihn "ein Spiel" gewesen.

Laut einem Bericht der WELT im Jahr 2020, sei die offizielle finanzielle Unterstützung der Hamas durch die Türkei eingestellt worden, das Geld fließe jedoch weiter. Auch NTV berichtet von aufrechter Unterstützung durch die türkische Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

"Die Hamas will mich töten"

Die Staatsanwaltschaft fragt den Angeklagten, warum er für die angebliche Lüge in der Hoffnung auf Asyl, die Verfolgung und mögliche Tötung durch die Hamas in Kauf nehme. "Ich lebe außerhalb von Palästina, die Hamas ist nur in Gaza", erklärt der Beschuldigte.

Laut seiner Familie sei er "krank und ein Autist". Der Angeklagte entschuldigt sich für seine Lügen und "liebe den Frieden auf der ganzen Welt". Falls er in Österreich kein Asyl und keinen Schutz bekomme, wolle er das Land verlassen. 

Die Öffentlichkeit wurde für die Dauer einer Zeugenaussage ausgeschlossen. 

Der 1978 geborene älteste Bruder des Angeklagten, hat 2010 das Buch "Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist" herausgebracht. Auf seinen Erlebnissen basiert auch der deutsch-israelisch-britische Dokumentarfilm "Der grüne Prinz".

Es geht weiter im Gerichtssaal 1. Aktuell nimmt ein zuständiger Erhebungsbeamter Platz. Der Angeklagte habe die ermittelnden Beamten vor dem Verhandlungsstart mit den Worten "see you tomorrow" begrüßt. Der Beamte habe den Satz als mögliche Drohung interpretiert.

Laut Ermittlungen der Beamten verfüge der Angeklagte sehr wohl über Detailwissen im Bezug auf die Hamas. Er habe beispielsweise den Istanbuler-Bezirk Başakşehir als Operationsbasis angegeben. 

Von den israelischen Behörden habe man jedoch keine Antworten bekommen. Die Ermittlungen beruhen größtenteils auf Medienberichten oder öffentlichen Social Media-Profilen. 

Laut Recherchen würde es rund 50 operierende Personen der Hamas in Westeuropa und der Türkei geben.

Schwierig gestaltete sich laut Beamten die Suche nach bestimmten Informationen. Beispielsweise dem Gründungsdatum der Hamas. Dem entgegnet der Verteidiger des Angeklagten: "Ich hab das an meinem Laptop gerade in fünf Sekunden gefunden."

Der Beamte schätze den Beklagten "nicht als hochrangiges Mitglied der Hamas" ein.

In der Interpol-Datenbank habe es keine aufrechten Haftbefehle für den Angeklagten gegeben. Ein weiterer Beamter wird in den Saal gerufen.

Für den Verteidiger ist es unwahrscheinlich, dass sein Mandant mehrmals nach Israel hätte einreisen können, wenn er ein hochrangiges Mitglied wäre.

Offizialprinzip (Prinzip der amtswegigen Verfolgung) bedeutet, dass eine Behörde oder das Gericht von Amts wegen Ermittlungen durchführt.

Einer der drei Schöffen fragt den Beamten, warum der Angeklagte nicht ab der Ankunft in Österreich observiert wurde: "Wir unterliegen dem Offizialprinzip. Sobald eine Straftat bekannt wird, wir der Staatsanwaltschaft Bericht erstatten. Wir wussten bis zur Mittteilung durch den Zeugen nicht, dass er bei uns ist."

Dem Delikt der Vortäuschung einer Straftat gegenüber würde sich der Angeklagte laut seinem Anwalt für schuldig bekennen. Das Beweisverfahren endet.

Schlussplädoyers starten

Die Staatsanwältin sieht eine "Beweiswürdigungsfrage" beim bevorstehenden Urteil: "Die sichergestellten Videos von ihm selbst sind sehr eindeutig. Er sagt immer wieder er sei von der Hamas ausgetreten und hatte sehr inhaltlich umfangreiche Kenntnisse der Hamas. Auch der Zeuge bestätigt das. Das wird eine Beweiswürdigungsfrage werden."

Sein Verteidiger entgegnet: "Der anonyme Zeuge hat aus meiner Sicht seine Angaben einigermaßen revidiert und anscheinend gar nicht oft mit dem Angeklagten gesprochen. Die Ermittlungen der Beamten haben nichts eingebracht. Das waren Open-Source-Recherchen, die kann ich zum Teil selber – anscheinend auch schneller – erledigen. Wenn er ein hochrangiges Mitglied wäre, dann würde ihn ein Geheimdienst kennen. Er wollte sich selbst einen Asylgrund schaffen und das Spiel seines Bruders spielen."

"Ich entschuldige mich für die Lügen, Sie haben das Recht mir keinen Asylstatus zu geben, aber lassen Sie mich bitte nicht unschuldig ins Gefängnis gehen."

Angeklagter

Auch der Angeklagte meldet sich, via Dolmetscherin, zu Wort: "Ich entschuldige mich für die Lügen, Sie haben das Recht mir keinen Asylstatus zu geben, aber lassen Sie mich bitte nicht unschuldig ins Gefängnis gehen."

Freispruch für den Angeklagten

Das Gericht formuliert den Freispruch unter anderem wie folgt: "Es gab Zweifel hinsichtlich der Schuld des Angeklagten. Es gibt eine Reihe von widersprüchlichem Aussagen, ob er für die Hamas tätig war. Es gibt kein seriöses Erhebungsergebnis, das dafürspricht. Auch nicht von Behörden. Kein Tatsachensubstrat stützt einen Schuldspruch. Die Justiz muss nachweisen, dass er Straftaten begangen hat. Das ist in diesem Fall nicht gelungen."

Beim Hinausgehen blickt der Freigesprochene in Richtung der ermittelnden Beamten, winkt und sagt mehrmals "goodbye".

Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, das Urteil ist nicht rechtskräftig.