Neusiedler See: Die „Rohrwölfe“ sind wieder im Einsatz
Vor ein paar Jahren hat er sich auf dünnem Eis bewegt. Auf Frost ist Schilfschneider Erwin Sumalowitsch aus Podersdorf jetzt nicht angewiesen. „Der Neusiedler See hat ja wenig Wasser und es gibt kein Eis. Zum Arbeiten ist der tief gesunkene Wasserstand super.“ Für den See sei diese Entwicklung weniger gut (siehe Zusatzbericht).
Dank mehrerer umgebauter Pistenraupen ist die Schilffläche gut befahrbar. Zwischen Weiden am See und Breitenbrunn sind Sumalowitsch und seine Helfer unterwegs. Geerntet werden darf in dem 180 Quadratkilometer großen Schilfgürtel nur bis 15. März.
Schilfschneider seit Generationen
Die Familie Sumalowitsch schneidet seit Generationen Schilf. „Ich habe schon als Kind geholfen“, erinnert sich der 65-Jährige. Vor ein paar Jahren habe es allerdings ausgesehen, als gebe es keine Zukunft für die „Rohrwölfe“, wie die Schilfschneider genannt werden. Die schwierigen Erntebedingungen durch fehlendes Eis im damals tieferen Wasser sowie Konkurrenz aus China haben ihnen das Leben schwer gemacht.
In den 1980er Jahren habe es noch mehr als 10 Firmen gegeben, heute seien es „weniger als eine Handvoll“ Schilfschneider. „Wir waren schon auf der Intensivstation. Jetzt kommt die Zeit, wo es wieder bergauf geht.“ Die Nachfrage sei sehr groß, die Preise sind gestiegen. Die derzeit extrem hohen Transportkosten für den Import aus China seien ein Grund für diese Entwicklung.
Benötigt werde der Rohstoff zum Dachdecken und zur Herstellung für Isolierplatten. Er selbst sei der einzige im Land, der Schilfplatten produziert, sagt Sumalowitsch. Er liefert nach Holland, Deutschland, Frankreich und England.
180Quadratkilometer
Schilfwildnis umgeben den Neusiedler See. Der Schilfgürtel ist zwischen 100 Meter und fünf Kilometer breit, auf ungarischer Seite sogar
bis zu elf Kilometer
10-15Prozent
der Fläche werden von Schilfschneidern geerntet und weiterverarbeitet. Gut die Hälfte des Schilfgürtels liegt in der Naturzone des Nationalparks und ist streng geschützt. Das Schilf wird unter anderem für Dachdeckungen oder zur Isolation verwendet
"Wichtiger Wirtschaftsfaktor"
Große Bedeutung hat die Schilfschneiderei auch in der Familie von Andreas Lang aus Mörbisch am See. Seine Mutter Edith Lang erinnert sich: „Früher hat fast jeder Weinbauer Schilf gemäht, das war sehr einträglich. Allein in Mörbisch hat es vier Rohrfabriken gegeben. Das Schilf war im Burgenland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.“ Auch ihr Mann habe 20 Jahre lang Schilf geerntet, sagt die 71-Jährige. Vor sechs Jahren ist Sohn Andreas, er ist Weinbauer, auch in die Schilfschneiderei eingestiegen. Gemeinsam mit Andreas Fiedler und drei Helfern ist Lang derzeit in Mörbisch und Rust im Einsatz. Auch sie sind mit umgebauten Pistenraupen unterwegs. Immer wieder finden sie Kuriositäten im Schilf, wie dieser Tage auch einen Christbaum.
Bis 15. März wird versucht, so viel wie möglich zu ernten. „Danach wird das Schilf zum Trocknen in Kegeln aufgestellt, dann wird es aussortiert und verkauft.“ Die Nachfrage sei groß. „Dass der Wasserstand niedrig ist, macht das Ernten einfacher. Für den See ist es aber katastrophal“, so Lang. Wie die Situation nächstes Jahr sein werde, sei ungewiss.
Schilf als Lebensraum für Tiere
Das Schilf ist eine einjährige Pflanze. Damit es optimal gedeihen und nachwachsen kann, muss es jedes Jahr geschnitten werden. Andernfalls hat dies auch Folgen für die nächsten Saisonen. „Wird das Schilf nicht jedes Jahr geschnitten, wächst auch kein neues nach. Das alte Schilf ist unbrauchbar, man kann es nicht verarbeiten“, erklärt Erwin Sumalowitsch.
Weil das Schilf nicht abgebrannt werden darf, gebe es immer mehr Schilfflächen, die brach liegen. Dabei habe es für den See eine große Bedeutung, sagt der Schilfschneider.
„Naturfilter“„Es ist ein Naturfilter.“ Werde es nicht – wie jeder andere Filter – erneuert, fange es zu vermodern an. Das wirke sich negativ auf die Wasserqualität aus.
Außerdem bietet der Schilfgürtel am Neusiedler See etlichen Tieren Lebensraum. Bevor die Vögel im Frühling an den Steppensee zurückkehren, um hier zu brüten, müssen die Schilferntearbeiten abgeschlossen sein. Aber nicht nur Vögel, auch Amphibien, und wirbellose Tiere wie etwa Kleinkrebse haben im Schilf ihr Zuhause; auch Fische finden hier ihren Laichplatz.