Chronik

Adamovich: "Verbeißen geb' ich zu"

Der Raum sieht nach Arbeit aus, nicht nach geruhsamem Lebensabend. Akten stapeln sich, Telefone läuten. Im Leopoldinischen Trakt der Hofburg befindet sich das Büro von Ludwig Adamovich (79), den Heinz Fischer 2004 zu seinem Berater in Verfassungsfragen gemacht hat. Das Ehrenamt füllt Adamovich aus. Mit der Berufsbezeichnung "Pensionist" konnte er ohnehin nie etwas anfangen. Nebenbei hat der einstige Verfassungsgerichtshofpräsident seine Erinnerungen zu Buch gebracht. Am Mittwoch wird es präsentiert. Dem KURIER gab er vorab ein Interview.

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KURIER: Sie schreiben in Ihren Memoiren, dass Sie den Juristenberuf nicht als Berufung empfunden haben.Was wären Sie lieber geworden?
Ludwig Adamovich:
Na Arzt. Zweifellos. Aber ich kann nicht rechnen, ich wäre in der Ausbildung schon am Anfang gestolpert.

Sie waren Leiter des Verfassungsdiensts und - wie Ihr Vater - Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Diese Karriereschritte verdanken Sie Bruno Kreisky, trotz Ihrer Nähe zur ÖVP. Wie kam es zu diesem Vertrauensverhältnis?
Zum einen war Kreisky bekannt dafür, dass er - wie soll man sagen? - traditionsbelastete Namen gefördert hat, wenn`s nicht gerade irgendwelche Schwachmatiker waren. Und Sympathie hat sicher auch eine Rolle gespielt.

Sie waren als Justizminister im Gespräch, sind es aber - anders als Ihr Vater - nie geworden ...
… aber er war Justizminister, als der Hut schon brannte (unter Schuschnigg, 1938, Anm.), da war jedem klar, dass das nicht lange dauern kann.

Bedauern Sie aus heutiger Sicht , dass Sie nie Minister waren?
Nein (denkt nach). Selbst unter dem Aspekt der sauren Trauben: Nach allem, was ich da beobachtet habe, wirklich nicht.

Welcher Minister, welche Ministerin - nach Broda - hat die beste Arbeit geleistet?
Broda war ja zwei Mal Minister, dazwischen kam Klecatsky in der ÖVP-Alleinregierung, der hatte Format. Und Michalek, der war ein solider Minister. Foregger war auch ein ernst zu nehmender Fachmann. Die amtierende Ministerin ist sympathisch, sie tut ihr Bestes.

Und ihre Vorgängerin, Bandion-Ortner?
No comment ... Sie tut mir leid, sie ist verheizt worden. Das war Populismus und Medienfütterung pur. Man kann ihr vorwerfen, dass sie sich hat einfangen lassen. Aber klar hat man`s gern, wenn man als Persönlichkeit gesehen wird, die einen gewissen Glamour verbreitet.

Hat das zu einer Marginalisierung der Justiz beigetragen?
Es hat mit dazu beigetragen. Aber solche Entwicklungen kommen nicht von heute auf morgen. Da muss schon vorher etwas da sein.

Hat die Justiz an Gewicht verloren?
Es scheint so. Weil es Verfahren gegeben hat, die unendlich lang gedauert haben und bei denen Fragen aufgetreten sind. Etwa im Elsner-Prozess: warum die lange Untersuchungshaft. Oder im Tierschützerprozess: Die Richterin hat keine gute Figur gemacht. Sie hat aber dann - das muss man fairerweise sagen - offenbar richtig entschieden.

Was bräuchte die österreichische Justiz?
Die Justiz bräuchte eine echte Selbstreinigungsfunktion, ein Gremium, das Probleme diskutiert, die in der Praxis immer wieder vorkommen. Dazu kommt es aber nicht, weil immer gesagt wird: "Da gibt`s ein paar Ausrutscher, aber im Prinzip ist eh alles in Ordnung."

Wie sollte so ein Gremium gebildet werden?
Aus der eigenen Mitte heraus, das müsste doch möglich sein, es gibt Personal-Senate ...


Ist es denkbar, Schiedsrichter in einem Kreis von Schiedsrichtern einzuführen? Sind Richter nicht überzeugt, dass sie im Recht sind?
Aber genau das ist doch der Punkt, der kritisiert gehört. Da gibt einige spektakuläre Fälle, die irgendwie seltsam sind. Dann gibt es die Mehrzahl der Verfahren, die durchaus in Ordnung ablaufen. Und dann gibt es Verfahren, in die so kleine Bosheiten hinein verpackt sind.

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Sprechen Sie hier Ihre persönliche Erfahrung mit der Justiz an? (Adamovich sagte als Leiter der Kampusch-Kommission in einem Interview, es sei denkbar, "dass die Gefangenschaft allemal besser war, als das, was Kampusch davor erlebt hat". Natascha Kampuschs Mutter klagte daraufhin wegen übler Nachrede. Adamovich wurde am 24. 12. 2009 in erster Instanz verurteilt, ein Jahr später jedoch freigesprochen, Anm.)
Gewiss. Verhandlung am 24. Dezember! Die Tochter des leitenden Staatsanwalts, der mit der Sache Kampusch befasst war, als Richterin!

Wäre das ein Fall für dieses Selbstreinigungsgremium gewesen?

Na sicher. Was hätt` ich denn tun können? Der Termin war nicht angreifbar, obwohl noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, am 24. 12. im Grauen Haus zu verhandeln. Und die Richterin: Ich hätte einen Ablehnungsantrag stellen können. Wäre der nicht durchgegangen, hätte das die Stimmung noch mehr aufgeheizt. Und hätte ein anderer Richter den Fall bekommen - da gibt`s dann so etwas wie Korpsgeist.

Sie sind also in die Defensive geraten, wie Sie es nie für möglich gehalten hätten ...
Ja (er überlegt) . Das führt natürlich in tieferes Wasser. Man fragt sich, ob man dem Opfer da nicht noch zusätzliches Leid angetan hat ...

Haben Sie das?

Es ist nie darum gegangen, der armen Natascha Kampusch ihren Opferstatus zu nehmen. Wir hatten uns nur mit der Vorgehensweise der Exekutive zu beschäftigen. Und da hat es Verschiedenes gegeben, das höchst seltsam war.

Haben Sie Natascha Kampusch je persönlich kennen gelernt?

Nein.

Ist für Sie menschlich noch etwas offen? Hatten Sie je den Wunsch, sie zu treffen?
Nein, (spricht leise) da würde nichts dabei herauskommen.

Viele haben sich gefragt: "Warum verbeißt er sich da so?" Hatten Sie nie dieses Gefühl?
Doch, doch, das ist richtig. Das mit dem Verbeißen geb` ich schon zu. Die Frage ist nur: aus welchen Motiven? Bestimmt nicht, weil ich der Dame schaden wollte.

Tut es Ihnen heute leid?
Es ist auf jeden Fall so, dass die Dame Mitleid verdient. Allein schon, weil sie unter ziemlich katastrophalen Umständen aufgewachsen ist.

In Ihren Memoiren erzählen Sie, Sie hätten als Kind "unkontrollierte Wutausbrüche" gehabt, die Ihr Vater "im Keim erstickt" habe. Kann es sein, dass Sie deshalb in Extremsituationen überreagieren?
Durchaus denkbar, ja.

Sie hätten auch im Ortstafelstreit nicht auf Jörg Haiders Provokationen eingehen müssen...
Stimmt. Aber was mich so in Rage gebracht hat war, dass er erst zu mir kommt und danach sagt, ich hätte der Kärntner Landesregierung das Gespräch verwehrt.

Selbst, wenn Sie in Rage waren, haben Sie doch als Jurist gewusst, dass man sich mit dem Vorwurf der Lüge Probleme einhandelt.
Natürlich (denkt lange nach) . Vielleicht steckt da ein Gerechtigkeitsfanatismus dahinter, und dann sage ich Dinge, die überpointiert sind.

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Sie betonen die Unterschiede zu Ihrem Vater: Er zwänglerisch und pedantisch - Sie wollen und können nicht Ordnung halten. Er Klassenbester - Sie bis heute mit der Mathematik auf Kriegsfuß. Dennoch waren Ihre Karrieren beinahe ident.
Man kann in der selben Funktion einen anderen Stil haben. Ich habe immer flache Hierarchien gepflegt. Eben weil ich die Erfahrungen mit meinem autoritären Vater gemacht habe.

Ihr Vater war schon mit sechs Jahren im Jesuiten-Internat in Kalksburg. Der hat wohl nie "flache Hierarchen" kennengelernt …

Natürlich, der konnte nicht anders.

Was würden Sie Ihrem Vater heute sagen?

Er ist ja selber ein Aufbrausender gewesen, in ganz anderen Dimensionen als ich. Ich würde ihm heute sagen (denkt nach) : "Vor allem deinem Sohn gegenüber sei nicht so aufbrausend. Und wenn`s darum geht, ihm was beizubringen, dann versuch`, ihm den Grund zu erklären und nicht nur, Befehle zu erteilen."

Empfinden Sie es als Genugtuung, dass Sie eine ebensolche Karriere geschafft haben wie er?
Nein, nein, nein. Wissen Sie, ich werd` die Vorstellung nicht los, dass sich manches in fast naturgesetzlicher Weise ergeben hat und gar nicht mein Verdienst war. Und dass ich bei Weitem nicht das geleistet hab, was mein Vater geleistet hat. Obwohl - Kreisky hat, als ich im Verfassungsdienst war, einmal gesagt: "Der is jetzt scho g`scheiter als sein Vater." Ich weiß aber nicht, ob das ein Scherz war.

Jedenfalls ist es hängen geblieben ...
Naja, schon.

Über große Juristen schreiben Sie: "Entweder sie werden im Lauf der Zeit verrückt, oder sie wollen mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben." Sie sind 79 und noch aktiv. Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie verrückt geworden sind?
Ich schreibe ausdrücklich, dass es Ausnahmen gibt (lacht) . Ich nenne auch zwei: Hans Kelsen und Alfred Verdross.

Und jetzt gibt es einen Dritten?
Nein, ich stelle mich nicht mit so großen Persönlichkeiten auf eine Stufe. Denn ich kämpfe die ganze Zeit, ich kämpfe mit dem Recht, mit der uralten Frage, Gerechtigkeit versus Rechtssicherheit.

Ist Gerechtigkeit nicht etwas zutiefst Subjektives? Sie haben selbst erlebt, dass man sich als Angeklagter ungerecht behandelt fühlt.

Das stimmt schon. Aber eine Illusion, so wie Kelsen das sagt, ist sie sicher nicht. Zumindest gibt es einige oberste Prinzipien.

Prinzipien scheinen immer weniger Wert zu sein, wenn man die Korruption betrachtet?
Die kleine und mittlere Korruption hat es immer gegeben. Neu ist aber die Bühne, auf der sich das abspielt, bis zu regierungsnahen Kreisen. Und neu ist das Ausmaß. Da wird systematisch Gratwanderung betrieben, und zwar auf dem strafrechtlichen Grat. Aber bei Weitem nicht alles, was gerade noch nicht unter eine konkrete Strafandrohung fällt, ist in Ordnung.

Was sagen Sie den Politikern?
Ich würde für meine Person sagen: Wenn ich in einer bestimmten Funktion bin, sollte ich gar nicht in die Nähe eines Verdachts kommen. Es gibt den berühmten Spruch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: "Justice must not only be done, ist must also be seen to be done." Das ist zwar auf die Gerichtsbarkeit gemünzt. Aber es gilt für die Politik ebenso.

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Biografie Unter dem Titel "Erinnerungen eines Nonkonformisten" hat Adamovich im Wiener Seifert Verlag seine Memoiren herausgebracht. Das Buch wird am Mittwoch in Wien vorgestellt. Auf 208 Seiten erzählt der Verfassungsjurist von seinem einsamen Leben als Einzelkind, das während der Nazi-Zeit vorsichtshalber keine Freunde mit nach Hause bringen durfte; vom autoritären Vater, einem hochrangigen Juristen, den die Nazis zwangspensionierten; vom ungeliebten Studium der Rechtswissenschaften, den wichtigsten Stationen seiner Berufslaufbahn, seiner Rolle im Kampf gegen die EU-Sanktionen ...

Karriere Ludwig Adamovich jun. (geb. 1932) begann seine Laufbahn in der NÖ Landesregierung, sein berufliches Ziel war die Stellung eines Bezirkshauptmanns. Er wurde dann aber in den Verfassungsdienst berufen, den er später, nach einigen Jahren als Professor in Graz, leitete. Von 1984 bis 2002 war er Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Derzeit ist er Berater des Bundespräsidenten in Verfassungsfragen.