Wiens grüne Geheimnisse
Von Claudia Elmer
Die Josefstadt ist grau. Mit einer Fläche von nur 1,08 Quadratkilometern ist der achte Bezirk der kleinste und am dichtesten verbaute Stadtteil Wiens. Nur zwei Prozent der Gesamtfläche sind grün – die Bepflanzung auf dem Dach einer Tiefgarage mitgerechnet.
Trotzdem: Wien ist eine grüne Stadt. Von der Donauinsel bis zum Laaer Berg ist die Metropole von Weinbergen und Feldern, Gärtnereien und Wäldern umgeben. Im Stadtzentrum laden historische Anlagen – vom Botanischen Garten bis zum Stadtpark – zum Flanieren und Verweilen ein.
Grüne Refugien
Abseits öffentlicher Grünflächen gibt es Tausende private. Denen widmet sich das neue Buch "Verborgene Gärten in Wien", das im Christian Brandstätter Verlag erschienen ist. Autorin Ruth Wegerer und Fotograf Harald Eisenberger haben die grünen Refugien aufgesucht und zeichnen mit ihrem Bildband ein Porträt der Wiener Gartenlandschaft: Hinter- und Innenhöfe, Dachterrassen, Privatgärten oder Wohnsiedlungen sind vielfältig bepflanzt und weisen auf eine lange Geschichte der städtischen Privatgärten hin.
"Bei Kultur denkt man in Wien eher an Musik und Theater, Kunst und Architektur, bei Garten an die prachtvollen, öffentlichen Parks, die täglich viele Besucher anziehen", schreibt die Verfasserin. Kein Wunder: Nur hinter wenigen Häuserzeilen lassen sich Blumenwiesen, Obstbäume oder gar Schwimmteiche erahnen. Wer aber Gelegenheit hat, einen Blick hinter die Gebäude zu werfen, entdeckt vielerorts mehr Grün, als zu vermuten wäre. "Allein im dicht besiedelten siebten Bezirk gibt es über 120 begrünte Höfe und Gärten, von den üppigen Dachgartenparadiesen ganz zu schweigen", so Ruth Wegerer.
Wiener Gartenkultur
Die Zahl der grünen Höfe, Winkel und Flecken, die über die Stadt verteilt sind, ist nicht statistisch festgehalten. Die Anfänge der Wiener Gartenkultur reichen zurück bis in die Zeit der Römer. Aufgeblüht ist sie im Mittelalter.
Bis heute sind vor allem Spuren aus dem Barock, dem Biedermeier, dem Jugendstil und der Zwischenkriegszeit sichtbar. So etwa im Palais Liechtenstein in der Rossau im neunten Bezirk. Die bekannte Gartengestalterin Cordula Loidl-Reisch hat den Park vor einigen Jahren nach historischem Vorbild revitalisiert. Hinter dem öffentlichen Teil verbirgt sich der private Garten eines Augenarztes, der dort seine Ordination führt. Seine Patienten vertreiben sich die Wartezeit bei einem Spaziergang zwischen Hortensienbüsche, Granatapfelbäumchen und wildem Wein. Eine Buchshecke, ein kleiner Bambuswald und eine doppelte Hainbuchenhecke schützen das eingezäunte Areal vor neugierigen Blicken. Wie der Zugang, bleibt Besuchern auch die Sicht auf das Biotop versperrt, an dessen Ufer ein Baldachin an Sommertagen Schatten spendet.
Sehnsucht
Sehnsucht nach Wald und heimischen Bäumen machte sich in den 1950er-Jahren breit. "Wahrscheinlich gibt es nirgendwo so viele Fichten, Tannen und andere Nadelbäume wie in Wiener Gärten", schreibt die Autorin. "Besonders in kleinen Gärten zeugen riesige Schattenspender von der Liebe zum Nadelwald."
Das sieht man bis heute. In einem Reihenhausgarten in der Per-Albin-Hansson Siedlung im südlichen Teil des zehnten Bezirks zum Beispiel. Der Garten ist 10 mal 20 Meter groß, doch die Bäume der Nachbarn und der anschließende Wald lassen die Oase größer wirken. Die Besitzerin, eine passionierte Gärtnerin, verpasste dem Freiluftbereich einen romantischen Auftritt. Päonien, Rosen, Clematis, Buchskugeln, Tulpen, Akeleien und Hortensien, dazu ein hellgrünes Gartenhäuschen und schmiedeeiserne Möbel erinnern an einen Englischen Garten.
Dächer wurden schon vor dem Zweiten Weltkrieg bepflanzt. Geheime Kübelgärten gibt es vermutlich viel länger. Der Durchbruch zur architektonischen Gestaltung – sei es mit Pool oder einer Wiese – gelang erst in den 1980er-Jahren. Das Spektrum der Wiener Dachlandschaft lässt sich selten persönlich erleben. Ein Garten ist Privatsache. Einen Blick riskieren kann man jetzt trotzdem.
Buchtipp
Ruth Wegerer, Harald Eisenberger: "Verborgene Gärten in Wien. Einblicke in die geheime Gartenvielfalt einer Großstadt"
Erschienen im Christian Brandstätter Verlag, € 36,–
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