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Mailand: Die Stadt, die Design atmet

Während des „Salone del Mobile“ steht Mailand Kopf: Über 300.000 Besucher pilgern jeden April aus aller Herren Länder in die lombardische Metropole, spulen Kilometer um Kilometer herunter und halten nach den neuesten Möbeltrends Ausschau.

Schauplatz ist das Ausstellungszentrum Fiera Milano Rho. Auf über 200.000 Quadratmeter erstreckt sich die größte Möbelmesse der Welt (der Superlativ ist durchaus angebracht), die in ihrem 57. Jahr um die Küchenmesse EuroCucina, die Badezimmermesse SaloneBagno und die Nachwuchsplattform SaloneSatellite ergänzt wird.

Daneben nimmt der Designzirkus auch die Innenstadt in Beschlag, wo ebenfalls zahlreiche Hersteller ihre Neuheiten enthüllen. Aufwändig inszenierte Showrooms, In- und Outdoor-Installationen, Cocktails, Präsentationen sowie Ausstellungen locken in verborgene Hinterhöfe, verwunschene Kathedralen, Museen oder in ehemalige Sport- und Fabrikshallen.

So gut man sich im Vorfeld auch organisieren mag – eines fehlt immer: Zeit. Da alle wichtigen Termine fast gleichzeitig stattfinden, haben wir uns vorab umgehört und das Wichtigste zusammengetragen. Mit Spannung wird unter anderem die Ausstellung „Typecasting“ erwartet, die der österreichische Designer Robert Stadler für den Schweizer Möbelhersteller Vitra in der Sporthalle La Pelota kuratiert und neu inszeniert hat. Wir haben mit dem Wahl-Pariser über die Designwoche und Vitra gesprochen:

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Herr Stadler, darf man die Möbelmesse als designaffiner Mensch eigentlich auch auslassen?

Ich bin zwar regelmäßig dort, aber nicht jedes Jahr. Ich bin nicht der typische Designer, der jedes Jahr mit unterschiedlichen Firmen zig Stühle auf den Markt bringt.

Warum hat der Salone del Mobile einen so wichtigen Stellenwert?

Wer sich für Kunst interessiert, fährt zur Art Basel. Wer sich für Design interessiert, fährt nach Mailand. In der Hinsicht ist der Salone einfach die beste Adresse. Man bekommt die interessantesten Möbelneuheiten und spannendsten Präsentationen zu sehen.

Während der Messe gibt es auch in der Stadt buntes Programm. Darunter die von ihnen kuratierte Schau für Vitra. Worum geht’s?

Ich präsentiere die Objekte nicht in den klassischen Design-Kategorien wie Wohnen, Büro oder Outdoor, sondern als Persönlichkeiten mit menschlichen Zügen. Die rund 200 Möbel sind in neun unterschiedlichen Communities gruppiert. Die Idee dahinter ist, bekannte Möbel aus einer neuen Perspektive zu erleben und neu zu betrachten, so dass neue Querverbindungen entstehen können. Die Ausstellung sagt genauso viel über uns selbst als über die Objekte, mit denen wir uns umgeben.

Es geht also auch um gesellschaftliche Phänomene?

Designmöbel hatten schon immer einen Funktion der Repräsentation. In der heutigen Welt verschärft sich das, vor allem durch Social Media. Davon spricht die Ausstellung.

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Das Vitra-Sortiment umfasst Tausende Objekte – was durfte in die Ausstellung, was nicht?

Ein wichtiger Punkt für die Auswahl der Objekte waren die Communities: Es gibt beispielsweise die Gruppe der „Athlets“ mit Stücken, denen man ansieht, dass sie sportlich sind. Daneben gibt es die „Dating Site Encounters“ und die „Slashers“, damit sind Leute gemeint, die ihre Jobs oder Aktivitäten oft wechseln oder Vieles gleichzeitig machen. Übertragen auf die Möbel sind in der Gruppe Objekte zu sehen, die die gleiche Form haben, aber in vielen unterschiedlichen Materialien existieren. Weiters gibt es die „Beauty Contestants“, bei denen es um Form, Schönheit und fließende Linien geht. Oder die „Compulsive Organizers“, darunter sind etwa Regalsysteme zu finden, die uns helfen, uns selbst zu organisieren – oder Stapelstühle, die sich in sich selbst organisieren.

Welche Gruppe ist die wichtigste?

Die „Communals“, in der sich alles um Co-Working und Co-Living dreht. Die Bewegung ist sehr aktuell und ständig im Wachsen. Communal Living gab es schon in den 1930er- und in den 1970er-Jahren. Es ist spannend zu sehen, wie sich diese Tendenz in der jeweiligen Epoche ausdrückt, weshalb sie immer wieder auftauchen und welche Materialien und Formen das jeweils annimmt. Das wird mithilfe der Gegenüberstellung historischer und zeitgenössischer Entwürfe gut veranschaulicht. Dazu passend werden in Mailand sechs Prototypen für neue „Communal-Sofas“ gezeigt.

Was ist der Unterschied zu einer herkömmlichen Couch?

Ein „Communal-Sofa“ gibt keine klassische Sitzform vor. Es sind größere Objekte mit freien Formen. Die Leute haben unterschiedliche Möglichkeiten darauf Platz zu nehmen. Man kann sitzen und liegen, arbeiten, diskutieren oder spielen. Vitra hat verschiedene Gestalter eingeladen, ihre Ideen einzubringen. Neben Konstantin Grcic, Barber Osgerby, Ronan und Erwan Bouroullec ist auch ein Entwurf von mir vertreten.

Schauplatz ist die rund 1000 große Sporthalle La Pelota. Wie haben Sie diese riesige Fläche gestaltet?

Neben der Ausstellung gibt es ein Artek-Café, einen Shop und einen Raum für das Vitra-Designmuseum. Auch im Außenbereich gibt es ein Café. Die Inszenierung ist wie ein Filmset gestaltet: Im Hauptraum, wo die neun Gruppen ausgestellt sind, gibt es drei große Bildschirme, die dafür sorgen, dass man sich wie auf einem Filmset fühlt. Ein Videokünstler hat zudem ein Video über Communal Sofas gedreht, das zu sehen sein wird. www.vitra.at

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Zur Person

Der gebürtige Wiener studierte Design am Istituto Europeo di Design (IED) in Mailand und an der École nationale supérieure de création industrielle (ENSCI) in Paris. Im Jahr 2001 eröffnete er sein eigenes Designstudio in Paris, in dem er Produkte und Konzepte für Kunden wie Dior, Lobmeyr, Palais de Tokyo, Ricard, Thonet und Vitra entwirft. Robert Stadler ist auf verschiedenen Gebieten aktiv und hat diverse Ausstellungen kuratiert. Seine Arbeiten sind Teil verschiedener privater und öffentlicher Sammlungen. www.robertstadler.net

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