Forscher sehen zu, was dem Tumor weh tut
Von Ernst Mauritz
Nein, so wie die eindrucksvolle Illustration (im Bild oben) darf man sich ein „Gehirn-Organoid“ nicht vorstellen: Die 3D-Gehirnmodelle am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien sind nur eine erbsengroße Gewebestruktur. Sie entspricht einem sehr frühen Stadium des menschlichen Gehirns, etwa auf der Stufe eines Embryos. Sie kann sich nicht weiterentwickeln (Blutgefäße etwa fehlen) und keine Schmerzreize empfinden.
2013 berichteten die Forscher um Jürgen Knoblich – nach dem Ausscheiden von Josef Penninger derzeit auch interimistischer wissenschaftlicher IMBA-Direktor – von der erstmaligen erfolgreichen Züchtung solcher „Mini-Hirne“. An diesen Strukturen in der Petrischale wollen sie die Entstehung von Krankheiten untersuchen.
Jetzt ist ihnen dabei ein besonderer Fortschritt gelungen: Sie können auch den Prozess der Entstehung von Gehirntumoren nachvollziehen – und dabei zusehen, wie sich gesunde Zellen zu Krebszellen entwickeln und gesundes Gewebe verdrängen.
Ein- und ausschalten
Gehirntumore gehören zu den aggressivsten Krebserkrankungen. „Aber gerade bei Gehirnerkrankungen sind Tierversuche wenig aussagekräftig“, sagt Knoblich zum KURIER: „Unser Gehirn und jene eines Tieres sind sehr unterschiedlich.“ Das erschwert aber auch die Entwicklung neuer Therapien.
Knoblich und seinem Team gelang es jetzt, verschiedene Gene in den Zellen dieser Organoide gezielt abzuschalten oder deren Aktivität zu erhöhen – und dann zu beobachten, was passiert. „Wir können jetzt untersuchen, welche Kombinationen von genetischen Mutationen – Veränderungen – ein Tumorwachstum auslösen, welche es verhindern oder zumindest bremsen. Die Auswirkungen von rund 60 Kombinationen verschiedener genetischer Veränderungen auf die Mini-Hirne haben die IMBA-Forscher bereits getestet: „Jede genetische Veränderung, die dazu führt, dass der Tumor schrumpft oder verschwindet, könnte ein guter Kandidat für künftige Therapien sein.“
Und daran arbeiten die IMBA-Forscher bereits: Sie untersuchten, wie bestimmte krebshemmende Wirkstoffe auf genetisch unterschiedliche Hirntumore wirken. Diese Medikamente werden bereits für andere Krebsarten eingesetzt. Während bei bestimmten genetischen Tumortypen eine spezielle Substanz gut wirke, waren die Effekte anderer Wirkstoffe minimal. Knoblich: „Wir können an unseren Modellen innerhalb kurzer Zeit sehen, was dem Tumor weh tut, ob ein Medikament wirkt oder nicht – und wie das gesunde Gewebe reagiert.“
Dreidimensionales Modell der Prostata
Errungenschaft. Dreidimensionale Organmodelle, die im Labor aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden und zu einem Gewebeverband heranwachsen, sind eine der wichtigsten wissenschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahre. Neue „Genscheren-Techniken“ wie etwa CRISPR-Cas9 ermöglichen, ganz gezielt präzise Mutationen in die Zellen einzubringen, die häufig bei Krebspatienten gefunden werden.
Forscher der Meduni Wien / AKH Wien haben jetzt auch aus Prostatazellen eine solche dreidimensionale Zellkultur der Prostata gezüchtet. Sie ist nur 0,4 Millimeter groß, verhält sich aber wie eine echte Drüse. Bisher standen nur einzelne Zellen und Zellkulturen zur Verfügung – um aber Abläufe zu studieren, die zur Krebsentstehung und -ausbreitung führen, reicht das nicht. Die Organmodelle sind da besser. Man könnte aus wenigen Krebszellen eines Patienten ein „Mini-Organ“ züchten und dann auch hier die Wirksamkeit von Medikamenten testen.