Hatte schon der Neandertaler eine Fettleber?
Etwa jeder Dritte hat eine Fettleber. Das passiert, wenn die Leber als zentrales Organ des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels mehr Fett speichern muss, als sie abbauen kann. Vor allem bei Übergewicht kommt es dazu.
Problematisch ist, dass mit einer Fettleber Gesundheitsprobleme einhergehen: Bei jedem fünften Betroffenen kommt es etwa zur Fettleberhepatitis, einer Entzündung, die zu schweren Vernarbungen sowie zu Krebs führen kann. Neben Umweltfaktoren wie Überernährung und Bewegungsmangel kann auch eine genetische Veranlagung eine Fettleber verursachen.
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der deutschen Unikliniken Würzburg und Homburg sowie des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig konnte nun gezeigt werden, dass es eine derartige genetische Veranlagung zur Fettleber bereits beim Neandertaler gab. Die Forschenden untersuchten die DNA von mehr als 10.000 archaischen und modernen Menschen als aller Welt.
Darunter waren alle 21 verfügbaren Neandertaler-Genome sowie zwei Genome des sogenannten Denisova-Menschen, der vor rund 40.000 Jahren im sibirischen Altai-Gebirge lebte und neben Homo sapiens und Neandertaler als dritte Population der Gattung Homo gilt. Unter den Proben war auch der weltweit einzige bekannte Hybrid, ein Urzeit-Kind mit einer Neandertaler-Mutter und einem Denisova-Vater.
Alle archaischen Menschen, die vor 40.000 bis 65.000 Jahren lebten, trugen genetische Veranlagung in sich
"Überraschenderweise trugen alle archaischen Menschen, die vor 40.000 bis 65.000 Jahren lebten, ausschließlich das Risiko-Allel (als Allel werden Varianten eines Gens bezeichnet, Anm.), was auf eine Fixierung des Varianten-Allels bei ihren gemeinsamen Vorfahren hindeutet", erklärt Andreas Geier und geht im menschlichen Stammbaum noch weiter zurück. Eine bekannte und relevante Rolle bei der Entwicklung einer Fettleber spielt die häufige Variante rs738409 des PNPLA3-Gens. "Bei der Analyse der Referenzgenomsequenz von Primaten wurde deutlich, dass die Menschenaffen, vom Orang-Utan über Gorilla bis zum Schimpansen und Bonobo, eine ursprüngliche, weniger riskante Genvariante tragen, einen sogenannten Wildtyp."
Die Wissenschafter gehen davon aus, dass die durch die Genvariation bedingte Fettspeicherung in der Leber einst das Überleben sicherte. Obwohl sie ungünstige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat, könnte sie unter den damaligen Lebensbedingungen ein Vorteil gewesen sein. Die Forschenden ziehen einen Vergleich zu Gänsen, die sich vor Langstreckenflügen eine Fettleber anfressen, um genügend Energie zu haben.
Genveränderung hat auch Einfluss auf Sehen in der Dämmerung
Zudem hat PNPLA3 Einfluss auf das Sehen in der Dämmerung – möglicherweise ein wichtiger Aspekt bei der Jagd. "Unsere Beobachtung könnte den Vorteil der Fettspeicherung in kaltem Klima und insbesondere für Neandertaler unter eiszeitlichen Bedingungen unterstreichen", spekuliert Geier. Für diese Hypothese spricht, dass die PNPLA3-Variante bei 89,3 Prozent der Jakuten-Bevölkerung in der kältesten Region im Nordosten Russlands vorherrscht.
Ob wir Menschen die PNPLA3-Variante rs738409 von den Neandertalern geerbt haben, ist laut Andreas Geier die naheliegendste Frage, die sich aus der Studie ergibt, und sie ist nicht ganz unbegründet. Auch die Genvariante SLC16A11, die unter anderem zu Diabetes Mellitus führt, wurde von den Neandertalern auf die modernen Menschen übertragen, aber nicht an alle. Der Homo neanderthalensis lebte bereits in Europa, als der Homo sapiens aus Afrika kam und ein Genaustausch stattfand. In Afrika findet man SLC16A11 nicht, dafür aber Varianten von PNPLA3.
Und das spricht gegen einen Gentransfer durch den Neandertaler. Er könnte aber laut den Forschenden dazu beigetragen haben, da die nachfolgenden Analysen der Studienautoren zeigen, dass eines von 1.000 heutigen PNPLA3-Varianten-Allelen aus dem Neandertaler-Genom stammen könnte.