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Evolution: Ist dem Menschen der Winterschlaf abhanden gekommen?

Fledermäuse tun es, Siebenschläfer auch, Hamster und Murmeltiere ebenso. Sie halten jedes Jahr Winterschlaf. Neuesten Forschungen zufolge könnten sich auch frühe Verwandte des modernen Menschen während der kalten Jahreszeit in einen langen Ruhezustand versetzt haben.

Hinweise darauf gibt es laut Paläontologen in Knochen, die an einer der berühmtesten fossilen Fundstellen der Welt entdeckt wurden: In der Region um den Gebirgszug Sierra de Atapuerca in der nordspanischen Provinz Burgos gibt es mehrere Höhlen, in denen Fossilien und Steinwerkzeuge der frühesten bekannten Hominiden in West-Europa gefunden wurden. Die Teile sind bis zu 1,2 Millionen Jahre alt sind. Die Höhle Sima de los Huesos (wird auch die Knochengrube genannt) gilt als bekanntester Fundort in der Sierra de Atapuerca. Sie liegt am Grunde eines 13 Meter tiefen Kamins und ist nur schwer zugänglich.

Lebenswichtiger Energiesparmodus

Aus Schäden an dort gefundenen fossilen Knochen konnten Forscherinnen und Forscher nun Rückschlüsse auf den Umgang menschlicher Vorfahren mit extremer Kälte ziehen. Demnach verfolgten Neandertaler und deren Vorfahren im Winter dieselbe Strategie wie diverse Tierarten (etwa Höhlenbären), an deren Knochen nahezu idente Schäden festgestellt wurden: Bei gesenkter Körpertemperatur und Herzschlagrate und herunterreguliertem Stoffwechsel schliefen sie womöglich monatelang durch und passten sich so widrigsten Winterbedingungen an.

In einem nun in der Zeitschrift L'Anthropologie veröffentlichten Artikel argumentiert ein Team um den spanischen Paläoanthropologen Juan-Luis Arsuaga, der bereits Anfang der Neunziger an den ersten Ausgrabungen in der Sima de los Huesos beteiligt war, und den griechischen Ethnologen Antonis Bartsiokas, dass die dort gefundenen Fossilien saisonale Unterschiede aufweisen. Sie würden darauf hindeuten, dass das Knochenwachstum jährlich für mehrere Monate gestört wurde.

Die Experten halten es für denkbar, dass sich Neandertaler "in Stoffwechselzuständen befanden, die ihnen halfen, lange Zeit unter kalten Bedingungen mit begrenzten Nahrungsvorräten und genügend Vorräten an Körperfett zu überleben". Sie hielten Winterschlaf, was sich wiederum als Störung in der Knochenentwicklung manifestiere.

Das Schädigungsmuster an den Knochen stimme mit denen von Säugetieren überein, die damals einen Winterschlaf hielten. "Die Strategie des Winterschlafes wäre die einzige Lösung für sie gewesen, um zu überleben, weil sie aufgrund der kalten Bedingungen Monate in einer Höhle verbringen mussten", so die Autoren.

Erste Hinweise

Der nicht an der Erhebung beteiligte forensische Anthropologe Patrick Randolph-Quinney von der Northumbria University in Newcastle sieht in den Erkenntnissen "einen interessanten Ansatz", der "sicherlich eine Debatte anregen" werde. "Es gibt jedoch auch andere Erklärungen für die Unterschiede in den Knochen, und diese müssen vollständig angegangen werden, bevor wir zu realistischen Schlussfolgerungen gelangen können", sagte er zum Guardian.

Chris Stringer vom Natural History Museum in London wies gegenüber dem Guardian darauf hin, dass große Säugetiere wie Bären keinen Winterschlaf, sondern lediglich Winterruhe halten: Bären verlangsamen etwa zwar ihre Herz- und Atemfrequenz, sind aber leicht aufzuwecken. In einem solchen Zustand wäre der Energiebedarf des menschlichen Gehirns laut Stringer sehr hoch geblieben, was ein Überlebensproblem dargestellt hätte. Dennoch sei "die Idee faszinierend" und sollte weiter geprüft werden.

Übrigens: 2010 machten Wissenschafter der Universität Marburg eine spannende Entdeckung: Sie fanden den ersten winterschlafenden Affen – eine auf Madagaskar lebende Lemurenart. Die Tatsache, dass unsere nächsten Verwandten einen Winterschlaf halten, lege die These nahe, dass diese biologische Option auch für den Menschen in Frage kommen könnte, schlussfolgerte man damals.