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Wenn Pferde Menschen trainieren

Langsam setzt Granini einen Schritt nach dem anderen in den sandigen Boden der Reithalle. Er tut es mit Vorsicht, als wüsste er, welche Verantwortung er auf seinem Rücken trägt. Granini ist ein Therapiepferd. Heute sitzt keine Patientin auf ihm, sondern eine Studentin, die Übungen vorzeigt. An anderen Tagen trägt der schwarze Hengst Menschen, die schwere Schmerzen haben. Und zum Beispiel an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sind.

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Renate Bilik geht neben ihrem Pferd. Sie achtet auf die Sitzposition der Vorzeigenden. Bilik arbeite seit zehn Jahren in der Hippotherapie – die Bezeichnung für Physiotherapie auf dem Pferd. „Das Pferd hat eine dreidimensionale Bewegung im Rücken, die dem Gangbild des Menschen entspricht. Diese Bewegung wird auf den Patienten übertragen“, erklärt die Physiotherapeutin. Mittels Rampe oder Lift kommen die Menschen auf das Pferd.
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Während die Assistentin das Pferd im Schritt durch die Halle führt, erklärt Bilik: „Das Becken wird bewegt und das wiederum bewirkt, dass die Muskulatur gelockert und aufgebaut werden kann.“ Die Rückmeldungen der Patienten sind positiv. Sie trainieren ihre Motorik und verbessern ihr Wohlbefinden. Verspannungen und Schmerzen lösen sich.

Weniger Schmerz

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Eine Studie der Universität Jena über den Krankheitsverlauf von MS-Patienten bestätigt die positiven Auswirkungen der Hippotherapie auf die verkrampfte Muskulatur, die Gleichgewichtsfähigkeit, das individuelle Schmerzempfinden und die Gangqualität. Neurologin Sabine Urbanits bestätigt: „Der Körper trainiert das Gleichgewicht ähnlich wie auf einer Wackelplatte. Bei der Hippotherapie muss sich der Patient mit seinem Sitz an das bewegte Objekt Pferd anpassen. Dadurch trainiert er auch das Gedächtnis für Bewegung.“

Zu der therapeutischen kommt die soziale Komponente. „Aufgrund ihrer Mobilitätsprobleme und dem Wissen, dass sie eine Krankheit haben, die man sehen könnte, treten MS-Patienten oft den sozialen Rückzug an“, sagt Urbanits. Die Zuwendung der Therapeutin und die körperliche Wärme des Pferds geben vielen ein erhebendes Gefühl. Angst vor Pferden ist freilich fehl am Platz, in diesem Fall ist die Therapie nicht zu empfehlen.

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Einer, der Hippotherapie ebenfalls genutzt hat, ist der ehemalige Vielseitigkeitsreiter Pepo Puch. 2008 stürzte der gebürtige Steirer mit fehlerhafter Airbagweste vom scheuenden Pferd. Die Folge: eine inkomplette Querschnittlähmung. „Das war für mich ein wahnsinniger Schlag“, sagt Puch. Nach langen Krankenhausaufenthalten versuchte er, mit Rehabilitation wieder zurück ins Leben und in den Sport zu finden. Er begann damals mit Hippotherapie zu arbeiten. Heute ist er Dressurreiter im Behindertenreitsport und gewann 2012 in London Gold.
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„Mit der Zeit habe ich soviel Balance halten können, dass mein Oberkörper nicht umkippte und ich auf dem Pferd sitzen konnte. Besonders schön ist, dass die Pferde mit einem kooperieren. Wenn du schief oben sitzt, gehen sie auf dich ein, schauen, dass du nicht runterfällst“, sagt Puch. Während er Granini hält und spricht, legt das Therapiepferd den Kopf sanft an seine Seite.

Im Zuge der Reha trainierte Puch mit seinen eigenen Pferden. „Die waren auf mich eingestellt, da war das Vertrauen da. Vor meinem Unfall habe ich die Pferde trainiert und ausgebildet, jetzt trainieren sie mich.“