Immer mehr schlucken Aufputschmittel
Von Ernst Mauritz
„Es ist überhaupt keine Frage, dass dieses Problem auch in Österreich zunimmt“, sagt Univ.-Prof. Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts, der größten Suchtklinik Europas. „Aber in Österreich haben wir in diesem Bereich überhaupt keine Daten“, ergänzt Univ.-Prof. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz der Uni-Klinik für Psychiatrie am Wiener AKH.
In Deutschland haben in den vergangenen zwölf Monaten fünf Prozent von mehr als 2000 befragten Erwerbstätigen Medikamente zur Leistungssteigerung eingenommen. Mit Amphetaminen (Aufputschmittel) wollen sie „berufliche Stresssituationen bewältigen“, sagt Helmut Schröder vom wissenschaftlichen Institut der deutschen Krankenkasse AOK, das die Untersuchung durchgeführt hat. „Bei den unter 30-Jährigen ist es immerhin jeder Zwölfte.“ Die dadurch verursachte Zahl an Krankenstandstagen hat sich seit 2002 vervierfacht.
Hohe Dunkelziffer
„Diese fünf Prozent sind sicher nicht die tatsächliche Größenordnung. Das Thema ist massiv tabuisiert und nicht jeder traut sich in einer Umfrage den Konsum zuzugeben“, betont Musalek. Die Dunkelziffer sei hoch.
„In Wahrheit ist das Problem nicht die Leistungssteigerung, sondern dieser Erfolgsdruck. Wir leben in einer Erfolggesellschaft. Ob Sie viel oder wenig leisten, ist dem Arbeitgeber egal: Sie müssen Erfolg haben.“ Bleibt er aus, versuchen das viele mit einem Übermaß an Leistung zu kompensieren – das führe zur Überforderung und der Einnahme der vermeintlich leistungssteigernden Substanzen.
„Diese Entwicklung zeigt, dass wir in den Betrieben kompetente Arbeitsmediziner brauchen“, so Fischer: „Sie erkennen, wenn Mitarbeiter länger Aufputsch- und Beruhigungsmittel einnehmen.“
Aus ärztlichen Verschreibungen, die missbräuchlich verwendet werden, stamme in Österreich nur ein geringer Teil der Aufputschmittel: „In Deutschland werden Ritalin und ähnliche Substanzen sehr breit gegen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) verschrieben“, sagt Fischer. Da sei nicht auszuschließen, dass Eltern ein solches Präparat für ihr Kind beziehen – und dann selbst konsumieren. „In Österreich sind die Verordnungszahlen aber so gering, dass missbräuchliche Verwendungen über diesen Weg weitgehend auszuschließen sind.“ Ansteigend sei aber der Bezug dieser Präparate über das Internet.
Musalek: „Eines ist klar: Im Endeffekt führt die Einnahme immer zu einer Minusrechnung. Gewinnen kann man damit nicht.“