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So tickt Österreichs Jugend: Was Familien belastet

„Wenn mein Vater gestresst ist, ist er äußerst aufbrausend und ich weiß, dass ich ihn in dieser Situation alleine lassen muss.“ Jasmine ist 18 Jahre und steht selbst durch die Schule unter Druck. „Gute Noten bedeuten in den Augen meiner Eltern eine gute Zukunft.“

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Jasmine ist nicht die Einzige, die sich manchmal in einem Teufelskreis aus Druck und Überforderung wiederfindet: 88 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 empfinden in irgendeiner Form Stress in ihren Familien. Das hat eine aktuelle repräsentative Studie im Auftrag des SOS Kinderdorfes ergeben. Das Institut für Jugendkulturforschung erhob dafür erstmals österreichweit die Stress-Faktoren aus Sicht der Jugendlichen. Sie konzentrieren sich auf die Bereiche Ausbildungsdruck, Arbeit der Eltern, Zukunftsangst und Finanzen.

Gemeinsame Zeit

Überraschend: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen wünscht sich vor allem mehr Zeit mit der Familie. Dieser Aspekt erstaunte auch die SOS Kinderdorf-Geschäftsführerin Nora Deinhammer. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich selbst mit 15, 16 Jahren eher widerwillig Zeit mit meinen Eltern verbracht habe, ich wollte lieber etwas mit meinen Freunden unternehmen. Heute wünschen sich die Jugendlichen mehr Freizeitaktivitäten mit der Familie.“

So erzählt die 15-jährige Lena im Rahmen der Befragungen etwa: „Bei meinem Papa ist es so, der hat blöde Dienste und viele Nachtdienste, und dann sehen ich und meine Mama ihn eine Woche fast gar nicht.“ Und Devin, 14, sagt: „Wenn wir mehr Zeit hätten, mehr Zusammenhalt ...“

Keine großen Wünsche

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Bedürfnisse von Jugendlichen verändern: Statt aus dem familiären Nest zu flüchten, sehnen sie sich nach mehr Familie. Dabei meinen sie gar nicht große Urlaube. 30 Prozent gaben an, daheim sei nicht genug Zeit für gemeinsame Mahlzeiten. 23 Prozent fehlt die Chance, über Alltägliches oder Wichtiges miteinander zu reden.

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Dass bereits für derart alltägliche Rituale häufig die Zeit fehlt, findet Deinhammer alarmierend. „Kinder brauchen ein stabiles Umfeld und tragfähige Beziehungen, um auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet zu werden.“ Dass Familien heute mehr Druck ausgesetzt sind als früher, ist an sich nichts Neues. Was sich verändert, ist der Grad der Überforderung, betont Deinhammer. Und das betrifft sämtliche Familienformen, von „Mutter-Vater-Kind über Patchwork-Familien bis zur Alleinerzieherin“.

Jung und Alt überfordert

Überall erleben die Jugendlichen häufig, wie die Eltern selbst in ihrem Alltag überfordert sind. Sei es durch ständige Erreichbarkeit, Überstunden oder unregelmäßige Arbeitszeiten. Das färbt auf den Nachwuchs mehr ab, als der Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit.

„Die Flexibilisierung der Arbeitszeit macht Unternehmer flexibler, nicht aber die Angestellten“, sagt Deinhammer und fordert daher bessere Rahmenbedingungen für Kinder und ihre Bezugspersonen.

Zukunftsängste

„Diese Anforderungen an die Eltern hängen stark mit den Zukunftsängsten der Jugendlichen zusammen“, erklärt Studienleiterin Raphaela Kohout vom Institut für Jugendkulturforschung. Das zeige sich daran, dass fast 40 Prozent Ängste, „im Leben nichts zu erreichen“, Arbeitslosigkeit oder Beruf und Familie nicht vereinbaren zu können als wichtigste Stress-Faktoren nannten.

Um Luxus geht es den Wenigsten

Was wünschen sich Jugendliche abseits von mehr gemeinsamer Zeit in der Familie? Eigentlich gar nichts Unmögliches: „Sie wollen später selbst Sicherheit im Job, und es ist ihnen wichtig, ihre Grundbedürfnisse abgedeckt zu haben“, sagt Deinhammer. Bereits aus früheren Untersuchungen wisse man: „Ein extravagantes Leben in Luxus wünschen sich die wenigsten.“

Geschlechtsunterschiede

Auffallend sind die Geschlechterverhältnisse, wenn es um Gedanken zur Zukunft geht. „Mädchen haben generell mehr Zukunftsängste als Burschen.“ Kohout sieht darin ein Signal, dass Teilzeit-Beruf und Familie meistens das gängige Modell für Frauen ist. „Das macht nicht nur unflexibel, sondern erhöht die Stress-Faktoren für alle Beteiligten“, betont Deinhammer. Sie wünscht sich „mutigere, innovative Ideen“, um das Zeitproblem von Familien zu verbessern. „Warum nicht darüber nachdenken, dass Eltern mit minderjährigen Kindern eine Woche mehr Urlaub bekommen.“