Schmerzen besser verstehen
Von Ingrid Teufl
Als Feuerwehrmann war Martin gewöhnt, im wahrsten Wortsinn "ein Mann der Tat" zu sein. Anhaltende, schwere Rückenschmerzen sowie zahlreiche erfolglose Therapien inklusive einer Bandscheibenprothese bei Orthopäden und Schmerzmedizinern brachten ihn jedoch in eine Opferrolle, die ihm gar nicht lag. Seinen geliebten Beruf konnte der knapp 40-jährige chronische Schmerzpatient nicht mehr ausüben, er schämte sich dafür vor seinen Kollegen. Unter seinen zunehmenden Wutausbrüchen und Ängsten ging schließlich auch noch die Beziehung mit seiner Lebensgefährtin auseinander.
Dass seine körperlichen Beschwerden mit nie ausgesprochenen und aufgearbeiteten Konflikten mit seinem verhassten, tyrannischen Vater in Verbindung stehen könnten, hätte Martin als realistisch denkender Mensch nie in Erwägung gezogen.
Wechselwirkungen
Für Univ.-Prof.Marcus Schiltenwolf, Leiter der Schmerztherapie am Universitätsklinikum Heidelberg, ist die Lebensgeschichte seiner Patienten ein wesentlicher Teil für das Verständnis ihrer Erkrankung. "Schmerz hat immer einen Gefühlsanteil." Das betonte er beim Symposion "Die Sprache des Schmerzes verstehen", das das "Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik " (IMABE) gemeinsam mit der AUVA und der Sozialversicherung in Wien veranstaltete.
In Österreich sind bereits 1,7 Millionen Menschen von chronischen Schmerzen betroffen. Tendenz steigend, obwohl in der (medikamentösen) Schmerzbehandlung in den vergangenen 25 Jahren enorme Fortschritte gelungen sind. In vielen Fällen ist jedoch gar keine direkte körperliche Ursache zu finden. Dazu kommt die Illusion medizinischer Machbarkeit. "heute scheint vieles planbar und machbar", sagt Schiltenwolf. "Viele Beschwerden und Schmerzen sind aber nicht technisch zu lösen, sondern fordern den Blick auf die Beziehung zum eigenen Körper, auf die eigene Geschichte, die Bindungen zu sich und zu anderen."
Die Bedeutung soziokultureller Aspekte in der Schmerzverarbeitung betont auch Univ.-Prof. Michael Bach. Der Psychiater leitet in Salzburg das APR, ein Institut für ambulante, psychosoziale Rehabilitation. "Körper und Seele sind in der Ursachenforschung des Schmerzes nicht zu trennen." Das werde in Fachkreisen immer mehr anerkannt. Ebenso, dass sogenannter "sozialer Schmerz" – z. B. Zurückweisung oder Mobbing – im Gehirn praktisch idente Schmerzen wie ein Schmerz durch körperliche Ursachen auslösen kann. Denn: "Schmerz- und Emotionsverarbeitung hängen zusammen."
Viele Therapiesäulen
Prim. Astrid Chiari, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien, sieht daher die sogenannte "multimodale Schmerztherapie" als zukünftiges Idealmodell für die Behandlung chronischer Schmerzen. Sie basiert neben medikamentöser Therapie je nach Bedarf auf Säulen wie Verhaltens- oder Psychotherapie. "Das ist zwar aufwendiger als reine Schmerztherapie, aber langfristig sicher erfolgreicher."
Aber ist totale Schmerzfreiheit für chronische Schmerzpatienten überhaupt möglich? Hier plädieren alle Referenten für Ehrlichkeit. Denn häufig bleibe dieser Gedanke ein unrealistischer Wunsch. Neben der Wichtigkeit einer genauen Erhebung und Dokumentation der Schmerzen (Dauer, Verlauf, Intensität usw.) zählt auch, Strategien im Umgang mit dem eigenen Schmerz sowie Wege durch den Alltag zu finden. Chiari nennt etwa eine Vereinbarung von Zielen zwischen Patient und Arzt. "Es geht darum, zu erarbeiten, was aus Sicht des Patienten ein Erfolg wäre, etwa wieder durchzuschlafen oder einen kurzen Weg zur Bushaltestelle zu bewältigen."