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Pflege-Präsidentin Frohner: "Bedürfnisse haben sich geändert"

Ursula Frohner ist Präsidentin des Gesundheits- und Krankenpflegeverbands und warnt im KURIER-Interview davor zu glauben, das System würde „gestemmt von Haushaltshilfen mit einem Erste Hilfe Kurs“. Letztendlich müsse allen bewusst sein: „Jeder von uns wird mit Pflegebedarf konfrontiert sein, direkt oder indirekt über den Partner, die Eltern oder ein zu pflegendes Kind.“

KURIER: Seit der Pflegeregress abgeschafft wurde und für Betreuung und Pflege in Heimen nicht mehr auf Vermögen zugegriffen wird, steigen die Anfragen und Anmeldungen. Ist das eine gute Entwicklung?

Der Bereich der chronisch Kranken und der pflegebedürftigen Menschen ist ganz dringend zu reformieren. Wir haben andere Bedürfnisse durch andere Lebensformen der Menschen, durch eine immer anonymere Gesellschaft. Allerdings stellt der Pflegebedürftige des 21. Jahrhunderts auch andere Ansprüche an Pflege- und Betreuungspersonen als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Schieben wir jetzt, wo das Erbe nicht mehr an das Pflegeheim geht, die Alten ab? Oder sind sie dort besser aufgehoben?

Das kann man nicht mit einer radikalen Zuordnung sagen. Besser oder schlechter gibt es hier nicht. Es geht um die bedarfsorientierte Versorgung. Und die ist besonders beim hochaltrigen Menschen davon abhängig, aus welcher Umgebung er kommt, welche Unterstützungspersonen er zur Verfügung hat, welche chronischen Erkrankungen er hat und wie sein soziales Netzwerk ist. Hier kann es besser sein, in einem Pflegeheim untergebracht zu werden, weil es hier mehrere Leute gibt, mit denen man sich beispielsweise austauschen kann. Oder, wenn man eine komplexere Erkrankung mit einem komplexeren Therapieschema hat, kann das Personal hier besser unterstützen. Es kann aber auch sein, wenn es im häuslichen Bereich dementsprechende Strukturen gibt, dass es zu Hause besser ist. Das ist einer der wesentlichen Knackpunkte: Es gibt kein Gut oder Schlecht. Wir müssen uns hin zu einer Bedarfsorientierung entwickeln und dementsprechende Finanzierungsmodelle finden.

Die Versorgung unterscheidet sich aber auch abhängig davon, wo man lebt.

Das ist ein wesentlicher Bereich. Es geht nämlich nicht nur um die pflegerische Versorgung und um Betreuungsleistungen bei der Unterstützung im Haushalt wie etwa bei Reinigungstätigkeiten, sondern es geht auch um medizinische Tätigkeiten. Das bleibt in der derzeitigen Diskussion komplett ausgespart: Die medizinische Routineversorgung wird jetzt schon zu einem erheblichen Anteil durch Personen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege geleistet – in den Krankenhäusern. Was gehört da dazu? Das ist Blutabnehmen, das ist Verabreichung von Injektionen, das ist das Schreiben eines Elektrokardiogramms und vieles mehr. Das braucht eine dementsprechende Ausbildung und Struktur im niedergelassenen Bereich. Und das ist eines der wesentlichen Knackpunkte in der Primärversorgung – wie wird diese Versorgungsleistung den Menschen künftig zur Verfügung gestellt, wer macht’s und wie wird’s finanziert.

Diplomkrankenpfleger kritisieren, dass sie oft Aufgaben einer Heimhilfe übernehmen müssen, Essen warm machen oder z. B. Geschirr waschen. Umgekehrt wird für vieles extra Personal geschickt – z. B. ein Pfleger für den Verbandswechsel, ein anderer für Körperhygiene. Wie sehen Sie die Ressourcenverteilung?

Wir haben derzeit in der Betreuung und in der Pflege von Menschen oft ein Nebeneinander. Oft bis hin zur medizinischen Versorgung. Dieses Nebeneinander der verschiedenen Leistungsangebote muss zu einem Miteinander werden. Hier hat der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege eine ganz essenzielle Aufgabe, wenn es darum geht, den Pflegeprozess zu definieren und umzusetzen – auch im niedergelassenen Bereich in der mobilen Pflege. Das bedeutet nicht, dass er täglich vor Ort sein muss. Das bedeutet aber, dass Kraft seiner Kompetenz sehr gut beurteilt werden kann, wo kann ich z. B. eine Pflegeassistenz für einen bestimmten Bereich eine Zeit lang alleine lassen – mit vorhergehender Unterweisung wie etwa ein künstlicher Darmausgang zu versorgen ist. Das ist der Punkt: Gut ausgebildete Personen erkennen sehr genau, wo das Ende ihrer Kompetenz ist, wo sie gezielte Interventionen setzen müssen und welche Bereiche sie durchaus an andere Pflegepersonen abgeben können.
 

Wie ist das im internationalen Vergleich?

Wenn ich es vorsichtig sage, haben wir in Österreich noch ein sehr traditionell geprägtes Bild, das sich dringend ändern muss. Das ist auch ein Generationenthema – wenn wir zunehmend die nächsten Jahrgänge im Gesundheitssystem haben, werden wir auch ein anderes Verständnis innerhalb der Gesundheitsberufe für die jeweiligen Kompetenzen und für die Notwendigkeit der Vernetzung haben. Biologische Abläufe, Heilungsprozesse nach einer Operation z. B. sind überall gleich – in Schweden genauso wie in Österreich. Aber, welche Kompetenz, welchen Gesundheitsbereich setze ich wofür ein?

Wir haben zu Beginn der 90-er Jahre noch einen Krankenhausaufenthalt von 11 Tagen verzeichnen können – für das gleiche Krankheitsbild bleiben Sie heute noch 5,5 Tage im Krankenhaus. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn man möglichst rasch in seine häusliche Umgebung kann. Aber es kommt darauf an, wer betreut einen. Und das wird bei einer Person mittleren Alters mit der Allgemeinmedizinerin ausreichen. Bei etwas älteren Menschen mit weiteren chronischen Erkrankungen oder einem bestehenden Pflegebedarf wird man entsprechendes Pflegepersonal hinzuziehen müssen.

Prognosen waren immer wieder davor, dass der Pflegebedarf in Zukunft enorm steigen wird. Ist Österreich gerüstet?

Die geburtenstarken Jahrgänge in allen Gesundheitsberufen werden dem System nicht mehr zur Verfügung stehen. Daher gilt es, sich jetzt zu überlegen, wie kann ich die Menschen optimal versorgen? Wie kann ich Betreuungskonzepte, Pflege- und Behandlungskonzepte zusammenstellen damit die Menschen zu den Leistungen kommen? Dazu braucht es aus unserer Sicht verbindliche Pflegequalitätskriterien über das gesamte Bundesgebiet - und natürlich deren Evaluation. Und da haben wir noch gar nicht begonnen. Es ist grotesk, dass wir wissen, dass eine Ressource immer weniger zur Verfügung steht, aber uns wenig darum kümmern, wie man das, was uns zur Verfügung steht, gut nutzen kann.

Wie kann man also mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern?

Indem die Leistung der Pflege sichtbar wird. Indem Strukturen und Behandlungskonzepte nicht nur hinter verschlossenen Tür, sondern öffentlich mit dieser sehr großen Berufsgruppe mit ihren zentralen Handlungsfeldern entwickelt werden. Und indem neue Berufsfelder erschlossen werden, z. B. Schulgesundheitspflege. Wir wissen genau, dass es wichtig ist, den Anteil an gesunden Lebensjahren zu erhöhen. Das kann man am besten erreichen, wenn man den Kindern möglichst früh Gesundheitsangebote zur Verfügung stellt.

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Pflege in Österreich - Zahlen

Gesundheits- und Krankenpfleger stemmen rund 65 Prozent aller Gesundheitsberufe. Laut Statistik Austria gab es bundesweit im  Februar 458.168 Pflegegeld- bezieher. Die Ausgaben beliefen sich auf  knapp 218 Millionen €.

Rund 230.000 Menschen sind in teilstationärer Tagesbetreuung oder werden von mobilen oder stationären Diensten gepflegt (Stand 2016). Mehr als zwei Drittel davon sind Frauen.

Bei der Ausbildung unterscheidet man zwischen Pflegeassistenz (1Jahr), Pflegefachassistenz (2 Jahre) und dem gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege (3 Jahre).