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Immuntherapien gegen Krebs: "Aufregend und verblüffend"

Emily lacht und hält die kleine Tafel zur Kamera: "Zwei Jahre krebsfrei", hat sie darauf geschrieben.

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Die Chancen für Emily standen vor zwei Jahren sehr schlecht: Das damals siebenjährige Mädchen aus Pennsylvania, USA, litt bereits seit zwei Jahren an Akuter Lymphatischer Leukämie (ALL). Zwei Chemotherapien blieben erfolglos, die Leukämie kam jedes Mal zurück. Ihre Heilungschancen galten als gering.

Daraufhin setzten Ärzte vom Kinderspital in Philadelphia eine experimentelle Therapie ein (siehe Grafik): Sie entnahmen ihr Abwehrzellen und veränderten sie im Labor so, dass sie Krebszellen besser erkennen und bekämpfen können. Sie vermehrten die Zellen und führten sie dem Blutkreislauf zu.

Emily bekam hohes Fieber, halluzinierte, hatte schwere Nebenwirkungen. Aber die Therapie wirkte: Bis heute sind keine Krebszellen mehr nachweisbar.

"Eine Revolution"

30 Patienten (25 Kinder, 5 Erwachsene) erhielten bisher diese experimentelle Therapie der Pharmafirma Novartis. "27 sprachen darauf an, das ist eine Revolution", sagte Alessandro Riva, Leiter der Entwicklung von Krebsmedikamenten bei Novartis, dieser Tage vor Journalisten in Basel. Jetzt sind weiterführende Studien – auch mit anderen Krebsarten – geplant. Vielleicht auch eine Hoffnung für den deutschen Ex-Außenminister Guido Westerwelle, der kürzlich seine Leukämie-Diagnose öffentlich machte.

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Das Immunsystem im Kampf gegen Krebs gezielt stärken: Dieser Ansatz wird derzeit von Forschern weltweit als neue Chance gesehen. "Wird dieser Mann Krebs heilen?", lautete kürzlich die Schlagzeile auf dem Titelblatt des renommierten US-Wirtschaftsmagazins Forbes unter dem Porträt von Novartis-Chef Joseph Jimenez. Und das deutsche Magazin Focus schrieb von "neuer Hoffnung bei Krebs".

Aufwendig

Allerdings werden gerade bei dieser Art von Therapie die Kosten extrem hoch sein: "Denn es müssen immer die eigenen Immunzellen entnommen, verändert und zurückgegeben werden – ein aufwendiger Prozess", sagt der Onkologe Univ.-Prof. Heinz Ludwig vom Wiener Wilhelminenspital.

Aber auch andere Firmen haben vielversprechende Therapien in Entwicklung: Als "aufregend und verblüffend" bezeichnete kürzlich die britische BBC Studien mit einem Antikörper der Firma Merck (Pembrolizumab) – am Montag hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA den Antrag der Firma auf Zulassung zur Behandlung von fortgeschrittenem schwarzen Hautkrebs (Melanom) angenommen.

Dieses und einige andere künftige Präparate tricksen einen Mechanismus der Krebszellen aus: Kommt ein Tumor mit Abwehrzellen des Körpers in Kontakt, kann er mithilfe eines speziellen Moleküls (PD-1) die Abwehr lahmlegen und bremsen. Der neue Antikörper kann aber diese Bremse lösen – und das Immunsystem erkennt die Krebszellen wieder.

Roche präsentierte im Juni auf dem US-Krebskongress einen Wirkstoff gegen aggressiven Blasenkrebs, der ebenfalls nach diesem Prinzip Tumore wieder für körpereigene Immunzellen angreifbar macht.

Viele Einsatzgebiete

Bereits zugelassene Präparate wirken nach einem ähnlichen Prinzip: Der Antikörper Ipilimumab (Bristol-Myers Squibb) inaktiviert ebenfalls "Bremser" und gibt so dem eigenen Immunsystem "Gas". Er ist bereits für den Einsatz bei fortgeschrittenem Melanom zugelassen. Im Mai zeigte eine internationale Studie, an der Onkologen der MedUni Wien federführend beteiligt waren: Auch bei fortgeschrittenem Prostatakrebs verbesserten sich die Symptome.

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"Diese Therapien sind phänomenal, weil man die Kraft des Immunsystems nutzt", sagt Onkologe Ludwig. Aber er warnt vor zu großer Euphorie: "Es ist ein steiniger Weg und längst sind nicht alle Fragen gelöst."

Denn das "aufgedrehte" Immunsystem könne sich auch gegen gesundes Körpergewebe richten, sagt Ludwig: Deshalb kann es zu – teilweise auch schweren – Nebenwirkungen kommen.

Dennoch seien diese Therapieansätze "eine Hoffnung für die Zukunft", betont Ludwig: "Sie sind ein entscheidender Schritt nach vorne. Wir verstehen jetzt die Tricks, wie sich die Krebszellen den Attacken des Immunsystems entziehen. Zum ersten Mal ist man in der Lage, das Immunsystem ganz gezielt gegen Krebs zu aktivieren."

„Wir sind so dankbar und extrem glücklich: Vor Kurzem feierten wir, dass Emily seit zwei Jahren krebsfrei ist“, so Emilys Mutter Kari Whitehead in einem eMail an den KURIER. „Jedes Mal, wenn wir so einen Meilenstein erreicht haben, sind wir erstaunt, wie weit Emily in den zwei Jahren gekommen ist. Wir sind für jeden Tag dankbar, an dem sie gesund ist und krebsfrei bleibt.“

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Emily sei heute ein „typisches, neun Jahre altes Mädchen“. Was sie allerdings von vielen Gleichaltrigen unterscheidet: „Es ist ihr ein großes Anliegen, Bewusstsein für die Krebsforschung zu wecken und auch Geld dafür zu sammeln.“
Für eine Auktion zugunsten von Forschungsprojekten hat sie zwei von ihr gemalte Bilder zur Verfügung gestellt: „Die Bilder brachten einen Erlös von 4500 US-Dollar – Emily war darüber sehr stolz“, berichtet ihre Mutter. Im Juni war Emily mit ihrer Familie bei einem großen Leukämie-Kongress in Washington DC. „Wir saßen mit Emily am Podium zwischen Ärzten und Wissenschaftlern und erzählten über die Sicht der Patienten“, so Kari Whitehead: „Wie viele Neunjährige haben schon Gelegenheit, mit Ärzten renommierter Universitäten wie der Harvard University oder der University of Pennsylvania an einem Podium zu sitzen?“

Emily hat bereits „große Erfahrung mit solchen Kongressen“, interessiert sich für alles und spricht unbekümmert mit den Professoren. Als sie während der Podiumsdiskussion gerade nichts gefragt wurde, beschäftigte sie sich auf ihre Weise, so Mutter Kari: „Sie zeichnete ein Bild, wie Abwehrzellen die Krebszellen attackieren.“

Emilys Geschichte im Internet:

www.emilywhitehead.com


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Leukämie Bedeutet „weißes Blut“. Die Zahl der weißen Blutkörperchen im Blut ist oft stark erhöht. Leukämien gehen vom Knochenmark oder vom lymphatischen System aus. Akute Leukämien entwickeln sich rasch, chronische haben einen langsameren Verlauf. Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste Krebserkrankung bei Kindern.


Medikamente absetzen Ein ganz neuer Ansatz wird bei der Chronisch Myeloischen Leukämie versucht: Sie kann bereits sehr gut mit zwei Präparaten behandelt werden. Sind über zwei, drei Jahre keine Krebszellen mehr nachweisbar, setzen Mediziner in gewissen Fällen die Medikamente ab – bei bis zu 40 Prozent der Patienten kommt die Krankheit nicht wieder.


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