Wie uns die innere Uhr steuert
"Sie nehmen mich auf den Arm." Leicht ungläubig reagierte der US-amerikanische Molekular- und Chronobiologe Michael Rosbash, als ihm ein Mitglied des Nobelpreiskomitees telefonisch mitteilte, er sei einer der heurigen drei Medizin-Nobelpreisträger. Gemeinsam mit seinen US-Forscherkollegen Jeffrey C. Hall und Michael W. Young erhält er den Preis für die Aufklärung der Mechanismen der biologischen Uhr von Lebewesen – der KURIER berichtete.
Höchst an der Zeit
Andere Forscher sind weniger erstaunt: "Es ist sehr erfreulich und höchst an der Zeit, dass so ein bisher als Orchideenfach gehandeltes Thema ausgezeichnet wird", sagt Univ.-Prof. Maximilian Moser, Physiologe und Spezialist für biologische Rhythmen an der MedUni Graz. "Es gibt praktisch keinen physiologischen Parameter – von der Herzfrequenz bis zur Körpertemperatur –, der sich nicht im Rahmen biologischer Rhythmen verändert."
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Unterschätzter Einfluss
"Die innere Uhr steuert das An- und Abschalten vieler Proteine, der molekularen Maschinen in den Zellen", sagt Christiane Menzfeld vom Max-Planck-Institut für Biochemie. Forscher dieses Instituts konnten jetzt zeigen: 25 Prozent aller Proteinschalter – sie regulieren die Funktion der Eiweiße und damit die Stoffwechselvorgänge – werden von der inneren Uhr beeinflusst. Das ist deutlich mehr, als man bisher gedacht hat. "Man entdeckt heute immer mehr Beispiele einer Regulation von Körpervorgängen durch diese innere biologische Uhr, wo man das vorher nicht so vermutet hätte", sagt auch Univ.-Prof. Michael Fischer, Leiter des Instituts für Physiologie der MedUni Wien.
Partitur des Lebens
Für Moser ist die biologische Uhr "der Fahrplan unseres Körpers, der die Organe in ihrer Funktion aufeinander abstimmt. Oder poetischer: die Partitur unsers Lebens, nach dem das Orchester unseres Organismus spielt. Es gibt nicht nur eine, sondern Billionen davon in unserem Körper, weil in jeder Zelle solche Uhren arbeiten."
Massive Folgen
Gerät diese Uhr aus dem Takt, können die Auswirkungen massiv sein, sagt der Chronobiologe: "Ein Beispiel ist die Störung des Nachtrhythmus durch das Blaulicht von Bildschirmen. Auch bei Burn-out zum Beispiel spielt eine Störung der natürlichen Rhythmen eine Rolle. Nacht- und Schichtarbeit bringt die biologischen Rhythmen durcheinander und kann das Krebsrisiko erhöhen." Allerdings offenbar nur dann, wenn Tag- und Nachtarbeit abwechseln: "Interessanterweise treten die negativen Effekte nicht auf, wenn regelmäßig Nachtarbeit durchgeführt wird." Moser forscht zu dem Thema auch im Institut Human Research. Dort beschäftigt man sich unter anderem mit der Messung von Körperrhythmen, in denen sich der Gesundheitszustand des Körpers widerspiegelt.
In der Medizin müsste man die Auswirkungen dieser biologischen Rhythmen deutlich stärker als bisher beachten, betont der Experte: "Es macht zum Beispiel bei vielen Medikamenten einen Unterschied, zu welcher Uhrzeit sie verabreicht werden – sowohl, was die Wirkung, als auch, was die Nebenwirkungen betrifft. Bei bestimmten Krebsmedikamenten wird bereits versucht, diese besser an die innere Uhr anzupassen.
Mehr Beachtung
Die Erkenntnisse der Nobelpreisträger könnten auch in der Medikamenten-Entwicklung eine Rolle spielen: Durch das Wissen um diese Rhythmen "erhoffen wir uns bessere und effizientere Schlafmittel", sagt etwa Schlafforscher Gerhard Klösch von der MedUni Wien.
Gleichzeitig könne man durch die Beachtung dieser Rhythmen die Selbstheilungskompetenz des Körpers enorm fördern, betont Physiologe Moser: "Ein Organismus, der gut mit den natürlichen Rhythmen mitgehen kann, reguliert sich sehr viel besser – das mindert Stress und verbessert die körperliche Gesundheit generell."