NASA-Zwillinge: DNA hat sich im All verändert
Von Ernst Mauritz
"Plötzlich keine Brüder mehr" – "NASA-Zwillinge sind jetzt genetisch keine Zwillinge mehr": So klingen nur zwei der Schlagzeilen zu – vorläufigen – Ergebnissen einer Zwillingsstudie der US-Weltraumbehörde NASA: Scott Joseph Kelly war ab März 2015 knapp ein Jahr an Bord der Internationalen Raumstation (ISS), um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper zu testen. Sein eineiiger Zwillingsbruder Mark, ebenfalls NASA-Astronaut, blieb als "Kontrollperson" auf der Erde. Mit beiden wurden vor Scotts Weltraumeinsatz zahlreiche Tests gemacht, von beiden biologische Proben genommen – um nachher Vergleiche ziehen zu können.
Eine einmalige Möglichkeit, denn noch nie gab es in der Geschichte der Raumfahrt eineiige Astronautenzwillinge. Vor Kurzem gab die NASA bekannt: Bei Scott wurden nicht nur erhöhte Entzündungswerte und versteifte Arterien gefunden: Auch bei einigen Hundert seiner insgesamt 23.000 Gene – insgesamt sieben Prozent – zeigten sich gegenüber seinem Zwillingsbruder Veränderungen. Auch unterschiedliche Mutationen sind entstanden – ein Teil davon möglicherweise durch den Aufenthalt im All, aber das muss erst durch weitere Forschungen geklärt werden.
"Was? Meine DNA hat sich verändert?", schriebt Scott Kelly auf Twitter, als er davon erfuhr. "Das könnten gute Nachrichten sein. Ich muss jetzt Mark nicht mehr länger als meinen identischen Zwillingsbruder bezeichnen."
Was wirklich geschah
Doch so ist es nicht. Denn Genetiker weisen Berichte, wonach Scott Kellys DNA jetzt völlig unterschiedlich von der seines Bruders wäre, zurück. "Die Verwendung der Erbsubstanz hat sich vor allem verändert – das war das Wesentliche", sagt der Genetiker Univ.-Prof. Markus Hengstschläger von der MedUni Wien. Eineiige Zwillinge haben – nach der Teilung der befruchteten Eizelle – das identische Erbgut. Danach gibt es zwei Prozesse, sagt Hengstschläger:
- Gen-Mutation: Ab dem Tag der Trennung kommt es zu individuellen Mutationen, wenn etwa aus einer Zelle der Haut – die sich permanent erneuert – zwei werden. Dieser Prozess verläuft – trotz Reparaturmechanismen – nie ganz fehlerfrei. Aber die meisten Mutationen haben keinerlei Folgen." Eine schwerwiegende Folge wäre etwa eine Krebserkrankung. Das heißt: Egal, ob ein Zwillingsbruder im All ist oder nicht: Bei beiden kommt es zu unterschiedlichen genetischen Mutationen.
- Gen-Verwendung (Gen-Expression): Das hat die NASA nachgewiesen: Hier geht es darum, wie die Information eines Gens konkret in ein Produkt (z.B. ein Protein) umgesetzt wird. "Wird also etwa von einem Protein, das eine Rolle im Immunsystem spielt, mehr oder weniger produziert?" Kommt es etwa zu einer Stressreaktion, werden bestimmte Gene stärker angeschalten als andere, produzieren diese mehr von bestimmten Proteinen, die eine Aufgabe in der Stressabwehr haben. "Durch unterschiedliche Verwendung einzelner Gene kann sich etwa die Funktion des Immunsystems ändern", so Hengstschläger. Diese Veränderungen sind nicht stabil – und können wieder verschwunden sein. "Sie werden nicht weitervererbt."
Doch zu solchen Veränderungen kommt es auch, "wenn ein eineiiger Zwilling eine Weltreise macht und der andere zu Hause bleibt". Oder einer fastet oder eine Infektion hat – und der andere jeweils nicht.
"Ich finde die NASA-Untersuchungen spannend", sagt Hengstschläger: "Aber interessanter als die Zahl der sieben Prozent an Genen mit unterschiedlicher Aktivität ist die Frage: Welche dieser Änderungen sind wirklich eindeutig auf die Bedingungen im Weltall zurückzuführen? Daraus könnte man dann lernen, wie sich der Körper an solche extremen Bedingungen anpasst." Und: Mark und Scott sind weiterhin Zwillinge – auch genetisch.