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"Die Zahn-Vorsorge ist ein Stiefkind"

Lange hat man nicht gelebt im Römischen Reich – aber zumindest waren Entzündungen des Zahnhalteapparates (Parodontosen) deutlich seltener als heute: Lediglich fünf Prozent sollen damals Parodontose gehabt haben, zeigen Schädelanalysen, heute sind die Zahlen um ein Vielfaches höher. Falsche Ernährung, Rauchen, schlechte Zahnpflege aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes erhöhen das Risiko.

Wird der zunächst weiche Belag (Plaque) bei der Zahnpflege nicht entfernt, verfestigt er sich durch die Einlagerung von Mineralien – es entsteht Zahnstein (mineralisierte Plaque). Durch die Bakterien, die an der rauen Oberfläche anhaften, kann sich das Zahnfleisch entzünden. Um solchen Entzündungen vorzugreifen, will Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner, dass Kinder- und Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren Mundhygiene gratis in Anspruch nehmen können.

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Doch vielen Zahnärzten geht dieser Vorschlag nicht weit genug: "Gratis-Mundhygiene für Kinder und Jugendliche ist an sich zu begrüßen, in der Zahnmedizin sind aber vor allem ältere und sozial schwächere Schichten stark benachteiligt", schrieb etwa der nö. Zahnarzt und Kieferchirurg Gerald Jahl aus Eggenburg in einer Aussendung (siehe unten).

"Vorsorge ist ein Stiefkind in unserem Kassenvertrag aus dem Jahr 1957", sagt Claudius Ratschew von der Österreichischen Zahnärztekammer. "Das Leistungsspektrum hat sich seit damals kaum verändert – und damals gab es die Prophylaxe im heutigen Sinn nicht."

Grober Richtwert

Die Autonome Honorarrichtlinie der Österreichischen Ärztekamme empfiehlt ein Honorar in der Höhe von 80 Euro für die einfache mechanische Reinigung des Gebisses – eine Unter- oder Überschreitung um 30 Prozent (ca. 25 Euro) gilt bei durchschnittlichen Leistungen als angemessen. Bei einer Untersuchung des Vereins für Konsumenteninformation aus dem Jahr 2013 unter 100 Zahnärzten lagen viele in diesem Bereich zwischen rund 60 und rund 100 Euro – eine Wiener Ordination nannte damals aber Kosten von bis zu 250 Euro für eine Stunde Zahnreinigung.

"Letztlich hängen die Kosten davon ab, wie viele Ablagerungen vorhanden sind und wie umfangreich und aufwendig die Reinigung ist", sagt Ratschew. Bei der professionellen Mundhygiene in einer Zahnarztordination werden die harten und weichen Beläge mit Spezialinstrumenten (z. B. Ultraschall und Pulverstrahl) entfernt, anschließend die Zahnoberflächen geglättet und poliert (damit Bakterien nicht so leicht anhaften können). Zum Abschluss werden die gereinigten Flächen mit einem Fluoridlack überzogen.

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Weitgehend eine Privatleistung

Die professionelle Mundhygiene ist weitgehend eine Privatleistung. Einige Kassen refundieren 30 bis 40 Euro pro Jahr (BVA, SVA, Eisenbahner, Sozialversicherungsanstalt der Bauern, eine kleine Betriebskrankenkasse sowie die SGKK) – unabhängig davon, wie oft man die Leistung in Anspruch nimmt. "Ein einheitlicher Zuschuss für alle wäre ein Schritt hin zur Gleichbehandlung aller Sozialversicherten", so Ratschew. Unbehandelte Zahnfleischentzündungen können das Risiko von Frühgeburten und Herzinfarkten erhöhen, betont der Zahnmediziner: Auch bei Gelenkserkrankungen gibt es einen Zusammenhang mit Entzündungen im Mund- und Kieferbereich.

Bei einem gesunden Zahnstatus sei eine Mundhygiene zumindest einmal jährlich empfehlenswert, heißt es bei der Zahnärztekammer. Besonders wichtig ist sie bei bestehender Parodontitis, bei Zahnspangenträger sowie für Träger von Brücken, Kronen und Implantaten – da kann die professionelle Reinigung die Haltbarkeit des Zahnersatzes erhöhen.

Kritik. An die 40 Prozent der Über-65-Jährigen haben laut einer deutschen Untersuchung Parodontitis. Und dieser Prozentsatz wird steigen: Denn die Zahl der Menschen mit Typ-2-Diabetes nimmt weltweit deutlich zu – Diabetes aber erhöht das Parodontitis-Risiko deutlich.

Kommt es zu einem Zahnausfall, sind Prothesen notwendig. Mehr als ein Viertel der Österreicher über 65 Jahre sind zumindest im Ober- oder Unterkiefer zahnlos, im Schnitt fehlen 20 bis 23 Zähne. Teilprothesen als Ersatz kommen auf rund 1000 Euro, bei den meisten Kassen macht der Selbstbehalt rund die Hälfte der Kosten aus. „Und diese Selbstbehalte sind in den vergangenen Jahren erhöht worden“, kritisiert Zahnärztekammer-Sprecher Claudius Ratschew.

„Selbstbehalte sollten abgeschafft werden, eine einkommensabhängige Staffelung ist dringend notwendig“, sagt Zahnmediziner Gerald Jahl. Viele in der älteren Generation – besonders Bezieher von Mindestpensionen – könnten sich keinen adäquaten Zahnersatz mehr leisten: „Essen können ist aber ein Grundrecht.“

Ähnlich sieht das die Zahnärztekammer: „Solche Prothesen sind eine soziale Basisversorgung – da sollte es keine Selbstbehalte geben.“