Jetzt bestätigt: Ein neues Organ in unserem Bauch
"Diese Struktur im Körper teilt ein wenig das Schicksal eines Kabelschachtes in einem Gebäude: Beide werden im Normalfall wenig beachtet." Das sagt der Gastro-enterologe (Magen-Darm-Spezialist) Prim. Univ.-Prof. Rainer Schöfl von den Elisabethinen in Linz über das Gekröse (Mesenterium) des Darms – jenes Gewebe, das vor allem die Verbindung zwischen Dünndarm und hinterer Bauchwand darstellt und punktuell auch bei Dickdarm und Magen vorhanden ist. Doch jetzt könnte die Beachtung für die "Aufhängung" des "Dünndarmrohres" steigen: In einer Studie, die im Journal The Lancet Gastroenterology & Hepatology erschienen ist, bezeichnen unter anderem irische Wissenschaftler das Dünndarmgekröse als Organ.
Begründung: Lange habe man gedacht, dass es sich bei diesem Gewebe – quasi als "Halterung" verläuft es entlang des gesamten Dünndarms – um getrennte Einzelstrukturen handelt. Doch jüngste Forschungen haben gezeigt, dass es "eine durchgängige Struktur" ist – und damit die Bezeichnung "Organ" gerechtfertigt ist.
Da Vinci kannte es
Erstmals wurde das Gekröse von Leonardo da Vinci beschrieben, und danach über Jahrhunderte praktisch ignoriert. Erst in den vergangenen Jahren zeigten Studien zunehmend, dass es sich dabei um ein bisher unterschätztes Organ handeln könnte – mit der neuen Studie ist das jetzt offiziell.
"Wir kennen jetzt die Anatomie und die Struktur", sagt Hauptautor Calvin Coffey vom Universitätsspital Limerick in Irland. Der nächste Schritt ist, dass wir die genaue Funktion herausfinden müssen. Denn diese verstehen wir bisher kaum." Ein besseres Verständnis könnte allerdings ein neuer Ansatzpunkt für die Diagnose und Behandlung von Darmerkrankungen werden.
Was man bisher weiß: Über das Gekröse wird der Dünndarm mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Sauerstoffarmes Blut und Lymphflüssigkeit werden über das Gekröse abtransportiert.
Auch die Nervensignale vom und zum Gehirn verlaufen durch dieses Gewebe. "Es kann durchaus eine Rolle in der Darm-Hirn-Achse spielen, die wir heute noch nicht kennen." Signalisiert das Gehirn dem Darm zum Beispiel "Stress", und hat das zum Beispiel einen Durchfall zur Folge – ist an der Übermittlung dieser Information das Gekröse maßgeblich beteiligt.
Wie eine Borte
"In seinem Aussehen erinnert es an die gefalteten Zierborten über den Vorhangstangen", sagt Schöfl. Es ist flexibel, an manchen Stellen mehr, an anderen weniger stark ausgedehnt. Dass das Gekröse jetzt als Organ eingestuft wird, hält der Mediziner – er ist derzeit auch Präsident der Gastroenterologen-Gesellschaft – "für einen interessanten Ansatz".
Denn das Fettgewebe im Gekröse hat ganz spezielle – gefährliche – Eigenschaften. Es befördert entzündliche Prozesse, die unter anderem das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen.
Mehr Verständnis
"Wenn wir die Funktion dieser Struktur besser verstehen, werden wir auch mehr über chronische Entzündungen im Körper wissen."
Interessant sei zum Beispiel, dass dieses neue Organ bei bestimmten komplexen rheumatischen Erkrankungen beteiligt ist. Und bei bestimmten, genetisch bedingten Dickdarmkrebserkrankungen neigt das Gekröse zu massiven Wucherungen. Dass man relativ wenig darüber wisse, liege auch daran, dass es im Normalfall "in der Bildgebung – im Ultraschall, der Computer- oder Magnetresonanztomografie – verschwindet. Einfach deshalb, weil es sehr dünn ist. Erst der Chirurg bekommt es so richtig zu Gesicht."
Übrigens, wer sich mit Gekröse einmal außerhalb des medizinischen Bereichs näher befassen will, für den hat Schöfl einen Tipp: "Wenn sie sich in Italien ,Trippa alla romana‘ bestellen, essen sie Gekröse – vom Kalb."
Sehen Sie hier eine Infografik zum Thema:
Der Magen-Darm-Trakt kommuniziert über mehrere Kanäle mit dem Gehirn: über Hormone und Immunbotenstoffe etwa, aber auch über Signale des Darmmikrobioms, also der Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm.
Die Signale, die über die Darm-Hirn-Achse übertragen werden, haben Auswirkungen auf die Stimmungslage, Emotionen, den Appetit und wahrscheinlich den Gesundheitszustand insgesamt. Eine ausgewogene Zusammensetzung der Bakterienwelt im Darm kann ein wichtiger Faktor bei der Prävention von Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes, Asthma oder chronischen Darmerkrankungen sein.
„Wie Studien gezeigt haben, wirkt sich eine Änderung unserer Ernährung innerhalb von nur zwei Tagen auf die mikrobielle Wohngemeinschaft aus: Weniger Fett und Fleisch sowie viel Obst, Gemüse und Fisch fördern eine vielfältige Darmflora“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des forum.ernährung heute. „Der regelmäßige Konsum von Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten oder Nüssen ist ebenfalls günstig.“
Polyphenole in Zitrusfrüchten zum Beispiel bremsen das Wachstum des potenziell schädlichen Magenkeims Helicobacter pylori, der als Risikofaktor für Gastritits und Magenkrebs gilt.