Jedes vierte Kind leidet unter Schlafmangel
Von Ute Brühl
Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter einem "sozialen Jetlag": Ihr persönlicher Schlafrhythmus und der Stundenplan passen nicht zusammen. Darauf weist Univ-Prof. Reinhold Kerbl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, hin. Kein Wunder, dass bereits jedes vierte Kinder an Schlafstörungen leidet.
Verantwortlich für den Schlafmangel sind Hormone und Handy, wie der Grazer Schlafmediziner Univ.-Prof. Manfred Walzl weiß: "In der Pubertät verschiebt sich der Schlafrhythmus. Ursache ist das Hormon Melatonin, das bei Jugendlichen später ausgeschüttet wird als bei Erwachsenen. Die Schlafmitte verschiebt sich um ein bis zwei Stunden nach hinten, weshalb Jugendliche zu spät zu Bett gehen und zu wenig schlafen." Experten wie Kerbl plädieren deshalb dafür, den Schulbeginn eine Stunde nach hinten zu verlegen.
Verschärft werde das Problem des "sozialen Jetlags" noch durch den exzessiven Gebrauch von Handys, Tablets und anderen elektronischen Geräten: "Britische Kollegen haben erhoben, dass bereits Volksschulkinder zu wenig schlafen, weil sie bis in den Abend vor dem Bildschirm sitzen. In einem Jahr summiert sich ihr Schlafdefizit auf ein ganzes Monat. Das ist enorm", sagt Walzl.
Wie viel Schlaf Kinder brauchen, sei vielen Eltern nicht bewusst: "Bis zum Alter von 13, 14 Jahren brauchen sie zehn bis elf Stunden. Jugendliche sind nach neun Stunden ausgeruht."
Depressionen
Die ständige Müdigkeit der jungen Menschen wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit aus: "23 Prozent der jungen Menschen leiden unter Schlafstörungen." Mit dramatischen Folgen: "Je weniger (nicht nur) junge Menschen schlafen, desto höher ist ihr Risiko, an einer Depression zu erkranken." Das haben Forscher der Columbia University in New York in einer Studie mit 16.000 Teilnehmern herausgefunden. "Wer statt um 22 Uhr erst um 24 Uhr ins Bett geht, hat um eine 24 Prozent höheres Risiko, depressiv zu werden", berichtet Walzl. "Wer nur fünf Stunden pro Nacht schläft, hat um 48 Prozent häufiger Selbstmordgedanken."
Die "Gesellschaft der SchulärztInnen Österreichs" rät Eltern, darauf zu achten, dass ihr Nachwuchs nicht zu lange vor dem Laptop oder dem Handy sitzt (siehe auch Grafik): "Schüler bis zum 14. Lebensjahr sollten in ihrer Freizeit höchstens zwei Stunden neue Medien nutzen. Spätestens eine Stunde vor dem Zubettgehen sollten alle Geräte ausgeschalten sein. Schließlich muss das Gehirn in der Nacht das Gesehene auch verarbeiten."
Schulerfolg
Wer für eine gesunde Nachtruhe bei seinem Nachwuchs sorgt, tut auch etwas für den Familienfrieden: "Denn ausgeruhte Kinder sind weniger zappelig und konzentrierter in der Schule. "
Und es bleibt mehr Zeit für Gespräche zwischen Eltern und Kindern – derzeit bleiben für die Kommunikation in der Familie gerade einmal 17 Minuten. "Viel zu wenig", meint Walz.
67 Minuten sitzen Drei- bis Achtjährige im Durchschnitt jeden Tag vor dem Fernseher – aber nur rund 60 Minuten im Monat wird ihnen vorgelesen: Das kritisierte Autor und Erzähler Folke Tegetthoff bei der Präsentation der Aktion „Kinderärzte machen mobil“. „Das ist keine Brandrede gegen das Fernsehen, sondern eine für die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern.“ Mit 5000 Plakaten wollen die Kinderärzte auf die Bedeutung des Vorlesens hinweisen. Vorlesen sei ein Gegen-den-Strom-Schwimmen, das sich auszahlt, sagt Kinderarzt Wolfgang Sperl (Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde). Psychosomatische Erkrankungen gehen oft auf Sprachlosigkeit in der Familie zurück.
Mit der von Tegetthoff initiierten Plattform www.geschichtenbox.com soll das Vorlesen gefördert werden. Rund 430 Kinderärzte in ganz Österreich verschenken Wertkarten für Vorlese-Geschichten. Die Wertkarte enthält einen Gutscheincode, mit dem sich Eltern auf der Plattform registrieren und Geschichten nach den Vorlieben ihres Kindes mit der Suchmaske auswählen oder sich automatisch per eMail zusenden lassen können. Aus mehr als 4000 Geschichten kann ausgewählt werden. Partner der Aktion ist das Familienministerium. Ressortleiterin Sophie Karmasin (ÖVP) bezeichnete die Leseförderung als Lebensförderung: 75 Prozent der Menschen, die als Kinder in Kontakt mit Büchern und Geschichten kommen, lesen auch im Erwachsenenalter.