Glücksspiel, Alkohol, Nikotin: Was Verbote bringen
Von Ingrid Teufl
Karten, Pokern, Automaten – er probierte alles: "Und ich war immer der Letzte, der aufgehört hat. Wenn ich etwas gewonnen hab, hat mir das nie gereicht – es hätte ja noch mehr werden können." Andi K. beschreibt, was ihn jahrelang in Spielhallen, Casinos und an Kartentische trieb. Mehr als zehn Jahre war der heute 46-Jährige spielsüchtig. "Ich hab’ gelogen, betrogen, sogar gestohlen – alles war dem Glücksgefühl beim Spielen untergeordnet."
Aus heutiger Sicht "ein Wahnsinn". Familie, Freunde, Beruf, Wohnung habe er durch seine Sucht verloren. Erst nach einem Gefängnisaufenthalt und durch die Experten der Spielsuchthilfe Wien wurde ihm seine Sucht bewusst. Aufgrund seiner Erfahrungen findet Andi K. das neue Verbot von Glücksspielautomaten in Wien gut. "Wenn 16-Jährige ohne Kontrolle wahllos Geld verspielen können, ist das für viele der Start in eine Sucht."
Verfügbarkeit
Für Experten ist die Situation bei Suchtverhalten klar. Prim. Kurosch Yazdi, Leiter der Suchtabteilung in der oö. Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg: "Der wichtigste Suchtfaktor ist leichte Verfügbarkeit. Alles, was diese einschränkt, ist sinnvoll. Egal, ob das über Preis, Steuern oder Werbung gelenkt wird." Den Steuer-Effekt auf Alkoholkonsum zeigte jüngst eine Studie der Boston University School of Publik Health. Im US-Staat Tennessee gibt es zwar die höchsten Steuern auf Bier – aber die niedrigste Rate an Komasäufern.
Dem Gehirn, wo die Drogen wirken, ist es egal, mit welcher Substanz es stimuliert wird. Ob Alkohol, Nikotin, illegale Drogen, Sex oder Internet: "Es geht immer um Dopaminausschüttung", erklärt Yazdi (siehe Grafik).
Suchtpersönlichkeit
Warum jemand in eine Sucht schlittert, hat vielfältige Gründe. Die genetische Komponente ist nur ein Faktor. Diese wird zwar immer besser erforscht, "aber wir stehen nach wie vor am Anfang. Bei Alkohol spielt sie sicher eine Rolle." Vielfach hat die Persönlichkeit Einfluss. "Es kommt darauf an, ob ich das Suchtmittel als Werkzeug zum Beruhigen oder Vergessen benutze. Oder aus Spaß." Erstere werden meist schneller abhängig.
Dass Verbote tatsächlich Einfluss auf die Zahl der Süchtigen haben können, lässt sich messen. Yazdi führt hier das Beispiel Irland an, wo Pubs seit zehn Jahren rauchfrei sind. "Rein durch dieses Verbot ist die Lungenkrebsrate von knapp 30 auf 21 Prozent gesunken." Verbote von Alkohol und Heroin zeigen im Ländervergleich ebenso Wirkung, schreibt er in seinem Buch "Junkies wie wir" (edition a, 19,95 €). "In Österreich gibt es viel mehr Alkoholkranke als Heroinsüchtige, weil Heroin verboten ist." In muslimischen Ländern wie etwa dem Iran sei es genau umgekehrt, da Alkohol strikt verboten ist und Heroinkonsum weniger streng geahndet werde.
Verbote bleiben allerdings ein zweischneidiges Schwert – trotz eindeutiger medizinischer Lage, sagt Prim. Michael Musalek, Leiter der Wiener Suchtklinik Anton Proksch-Institut. "Ohne entsprechende Begleitmaßnahmen wie Aufklärung und Bewusstseinsbildung ist jedes Verbot sinnlos." Aus Sicht der Betroffenen erst recht. "Alleine wäre mir der Weg aus der Sucht nicht gelungen", sagt Susanne W. Die etwa 50-jährige Wienerin absolviert seit sieben Wochen eine Therapie im Anton Proksch-Institut. Da sei ihr klar geworden, dass sie nicht willensschwach sei, sondern Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist. "Als Süchtiger wird man immer versuchen, seine Sucht zu befriedigen – man glaubt, es geht nicht anders. Da braucht man Hilfe, das zu überwinden." Sie selbst schlitterte über viele Jahre hinweg von der "Genuss-Trinkerin, die sich ein Achterl guten Wein gönnt" in die Abhängigkeit. "Ich hab’ dann schon jeden Abend zum Runterkommen von beruflichen und privaten Problemen getrunken."
Rückfallquote
Die leichte Verfügbarkeit ist für die Experten auch im Fall von Nikotin ein Dreh- und Angelpunkt. Univ.-Doz. Ernest Groman vom Nikotin Institut, Experte für Raucherentwöhnung: "Je mehr Angebot es für etwas gibt, desto leichter ist es zugänglich." Im Fall von Nikotin glaubt er jedoch nicht, dass Verbote starke Raucher abhalten würden. "Für frische Nichtraucher könnten Nichtraucherlokale aber die Rückfallquote verringern."
Die aktuelle Verbotsdebatte überdeckt für ihn allerdings das eigentliche Thema. Rauchen zähle nachweislich zu den größten vermeidbaren Gesundheitsrisiken. "Wir reden zu 90 Prozent über Wirtshäuser und deren Probleme. Aber nur zu zehn Prozent über die Gesundheit."
Anton-Proksch-Institut
Die größte Suchtklinik Europas ist auf alle Arten von Abhängigkeiten spezialisiert. www.api.or.at, 01/880 10-0
Suchthilfe
In Wien werden mehrere Einrichtungen betrieben. www.suchthilfe.at, Hotline 0660 / 123 66 74
Grüner Kreis
Einrichtungen für Drogenprobleme in allen Bundesländern. www.gruenerkreis.at
Spielsucht
In den meisten Landesspitälern gibt es mittlerweile Ambulanzen für Spielsüchtige. In Wien beraten und helfen auch die "Anonymen Spieler". www.spielsuchthilfe.at, Hotline 01/ 544 13 57
Landesnervenkliniken
In den Landes-Nervenkliniken der Bundesländer gibt es auf Sucht- und Drogenproblematik spezialisierte Abteilungen.
Raucherentwöhnung
Die Gebietskrankenkassen bieten Entwöhnungsprogramme, u. a. auch am Rauchfrei-Telefon. www.rauchfrei.at, 0800 810 -013.
Nikotin Institut
Ambulante Einzel- und Gruppenkurse, Betriebsprogramme. www.nikotininstitut.at, 01/ 585 85 44.
Der Wirbel rund um das Aus fürs kleine Glücksspiel in Wien ist nach wie vor groß. Vor allem das Angebot des Automaten-Konzerns Novomatic, Kunden per Gratistaxi nach Niederösterreich zu bringen, wo das Automatenspiel erlaubt ist, hat für Aufsehen gesorgt. Es ist dies eine Antwort der Novomatic auf die erfolgte Aberkennung von Glücksspielkonzessionen durch die Stadt Wien. Mehrere heimische Verfassungsrechtler geben dem Unternehmen übrigens recht: Einige Konzessionsbescheide seien auf Laufzeiten über den 1. Jänner 2015 hinaus abgeschlossen worden und weiterhin gültig.
Abseits dieses Streits steht nun Niederösterreich – vor allem die größeren Gemeinden im Wiener Umland – im Fokus. Einerseits, weil nicht wenige Spieler aus Wien zum Zocken nach Niederösterreich pendeln. Andererseits, weil es gleichzeitig um viel Geld geht, das das Land durch die einarmigen Banditen lukriert. Budgetiert sind (Steuer-)Einnahmen von rund 14,3 Millionen Euro. Davon werden 70 Prozent an die Gemeinden weitergegeben. Der restliche Betrag ist zweckgebunden für soziale Projekte vorgesehen.
Die niederösterreichische Politik sieht sich vom Wiener Verbot keinesfalls moralisch unter Druck gesetzt. Denn: "Niederösterreich war das erste Bundesland, das für einen hohen Spielerschutz sowie für einen geregelten Betrieb des Automaten-Glücksspiels durch ein eigenes Landesgesetz gesorgt hat", betont der zuständige Landesrat Karl Wilfing (ÖVP). Einige der Bestimmungen im damaligen nö. "Spielautomatengesetz" seien auch ins neue Bundesgesetz übernommen worden. Vorrangig gehe es um strengen Spielerschutz. "Wir wollen nicht, dass Glücksspiel illegal im Hinterzimmer stattfindet", erklärt Wilfing. Neben zusätzlichen Kontrollen muss es eine elektronische Zugangsbeschränkung zu den Automaten geben, um die Spieler bei Suchtverhalten mithilfe eines Frühwarnsystems rechtzeitig sperren zu können. Alterskontrollen und Ausweispflicht sind vorgeschrieben. "Und wir haben die Höchstanzahl der Automaten von 1800 auf 1339 Geräte gesenkt", betont Wilfing.
Illegale Automaten
Genau genommen gibt es in NÖ noch rund 100 Automaten mehr – die illegalen. Sie laden an etwa 40 Standorten quer durchs Land in Hinterzimmern zum unkontrollierten Spiel ein. "Wir haben es aber geschafft, die illegalen Automaten innerhalb des letzten Jahres auf etwa ein Drittel der ursprünglichen Anzahl zu senken", betont die für die Glücksspiel-Strafen zuständige Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger (Team NÖ). Die Zusammenarbeit zwischen der Finanzpolizei und den zuständigen Bezirksbehörden laufe bestens. "Es finden laufend Kontrollen statt."