Jedes vierte Medikament hemmt die Darmbakterien
„ Magenschutz“ – das klingt so harmlos, beschützend. Magenschutz – das kann doch nur etwas Gutes sein. Und tatsächlich ist das die Medikamentengruppe der Protonenpumpenhemmer in bestimmten Fällen auch, etwa bei starkem, dauerhaftem Reflux (Rückfluss der Magensäure in die Speiseröhre). Die Präparate reduzieren dabei die Säurekonzentration im Magen. Doch eine langfristige, unkritische Einnahme – wie sie schon mehrfach von Medizinern aufgezeigt wurde – könnte Folgen haben, die man heute noch gar nicht abschätzen kann.
Anhaltspunkte dafür gibt jetzt eine Studie von Forschern aus Heidelberg, die im Fachmagazin Nature erschienen ist: Das Team untersuchte die Wirkung von mehr als 1000 auf dem Markt erhältlichen Medikamenten – keine Antibiotika! – auf 40 repräsentative Bakterien aus dem menschlichen Darm. Das überraschende Ergebnis: Mehr als ein Viertel der Nicht-Antibiotika hemmt das Wachstum von mindestens einer Bakterienart. Dazu zählten unter anderem auch die Protonenpumpenhemmer.
Die Veränderung der Zusammensetzung der Darmbakterienwelt kann möglicherweise zu Nebenwirkungen von Medikamenten beitragen – doch erwiesen ist das noch nicht. Die Forschung steht erst ganz am Anfang.
Resistente Keime
Trotzdem machen die Forscher auf ein bisher wenig beachtetes Risiko aufmerksam: Auch die Einnahme von Nicht-Antibiotika könnte – durch diese Veränderungen der Darmflora – zu einer Antibiotika-Resistenz beitragen.
„Eine Theorie wäre, dass bestimmte Medikamente speziell Bakterien hemmen, die nicht so leicht resistent gegen Antibiotika werden – und jene übrig bleiben, die über mehr Resistenzgene verfügen und ihre Resistenzmechanismen leichter weitergeben“, sagt Infektionsspezialist Rainer Gattringer vom Ordensklinikum Linz. Aber welche Bedeutung das tatsächlich hat – das wisse man heute noch nicht.
Dass die Protonenpumpenhemmer die Bakterienzusammensetzung ändern, sei jedenfalls nicht verwunderlich: „Wenn man den Säuregehalt des Magens ändert, dann muss alleine schon dieser Wirkmechanismus – unabhängig von der Substanz – einen Einfluss haben.“
Doch die Einflussfaktoren auf das Mikrobiom sind generell vielfältig – siehe Grafik. Fett- oder ballaststoffreiche Ernährung etwa kann zu deutlichen Veränderungen des Mikrobioms führen, sagte der Mikrobiom-Experte Christoph Steininger von der „Austrian Microbiome Initiative“ kürzlich auf der Fortbildungstagung der Österreichischen Apothekerkammer in Schladming. Wird aber nach einer Woche die Ernährung wieder umgestellt, hat sich innerhalb eines Monats auch die frühere Bakterienzusammensetzung wieder eingestellt. Auch wenn bereits viele Erkrankungen – von Asthma bis Darmkrebs – mit Veränderungen des Mikrobioms in Zusammenhang gebracht wurden: „Ein wirklicher Zusammenhang wurde bisher nur bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen festgestellt.“
Wie Stress und Darmbakterien zusammenhängen
Welche Auswirkungen soziale Faktoren auf die Darmflora haben können, zeigte kürzlich auch eine Studie der Georgia State University in den USA: Erwachsene Hamstermännchen wurden zu zweit in einen Käfig gesetzt – und begannen sofort zu kämpfen. Bereits eine einzige derartige Stresssituation veränderte die Darmflora der Tiere – im Vergleich zu einzeln gehaltenen Hamstern. Je öfter ein Hamstermännchen sich in einem Käfig behaupten musste, umso stärker die Veränderungen.
Bei jedem dieser Kämpfe im Käfig gab einen Gewinner und einen Verlierer – die Tiere stellten damit eine Rangordnung her. Die „Verlierer“ hatten mehr Stresshormone im Blut. Ursprünglich nahmen deshalb die Forscher an, auch in der Darmflora Unterschiede sehen zu können. Doch dem war nicht so: Sowohl bei Gewinnern und Verlierern gab es ähnliche Veränderungen im Mikrobiom.
Allerdings: Die Darmflora-Zusammensetzung vor der ersten Stress-Situation gab Hinweise darauf, welches Tier Sieger oder Verlierer wird – zumindest zeigten sich hier gewisse Muster.
Bereits frühere Untersuchungen an Tieren und Menschen zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen Stress und der Zusammensetzung der Darmflora gibt. Stressbedingte Verschlechterungen des Gesundheitszustandes könnten dann auch darauf zurückzuführen sein, dass von der veränderten Bakteriengemeinschaft Signale an das Gehirn gelangen – und von diesem wieder zurück an die Bakterien.