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Transgender: Wenn Kinder ihren Körper hassen

Tom wird mit einem weiblichen Körper geboren, gibt sich selbst aber schon früh Bubennamen, hat männliche Vorbilder, will keine typische Mädchenkleidung tragen. „Ich habe schon mit drei Jahren gesagt, ich bin ein Bursch. Auch wenn ich im Spiegel gesehen habe, dass das, was da steht, weiblich ist“, sagt er. Es ist keine Phase, die nach wenigen Monaten vorübergeht. Tom ist transgender. Seine angeborenen Geschlechtsmerkmale entsprechen nicht dem, wie er sich von klein auf wahrnimmt.

Mit der Pubertät beginnt er Teile seines Körpers stark abzulehnen. „Die Pubertät ist für die meisten von uns schrecklich. Du bist gezwungen sie zu durchleben, obwohl du vorher schon weißt, dass du das nicht bist. Das ist enorm belastend“, erzählt er. Hätte er als Teenager seine Pubertät aufhalten können, hätte er es getan. Und sich viel Leid erspart, sagt der heute 26-jährige Kindergartenpädagoge.

Mittlerweile ist das möglich. Offizielle Empfehlungen des Gesundheitsministeriums legen seit Dezember 2017 fest, wie Minderjährige mit der medizinischen Diagnose „Störung der Geschlechtsidentität“ (Geschlechtsdysphorie), behandelt werden können.

Pubertät wird blockiert

Mittel der Wahl sind Hormone: Sie können die Pubertät temporär stoppen oder das biologische an das Wunschgeschlecht angleichen. Bevor es diese Empfehlungen gab, wurden Hormontherapien für Minderjährige immer wieder abgelehnt. Der Vorteil: Die Blockade der Pubertät ab einem frühen Stadium verschafft Betroffenen Zeit, in der sie sich – vor allem mithilfe von Psychotherapie – über ihre Geschlechtsidentität klar werden können. Möglich ist ein Aufschub von etwa zwei Jahren, ohne dass bleibende Schäden entstehen. Bei Transbuben (weiblich zu männlich), wird so das Brustwachstum gestoppt. Transmädchen (männlich zu weiblich) haben z.B. keinen männlichen Stimmbruch.

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Geschultes Team

Die meisten Behandlungen finden in der Wiener Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde statt – nach einem langen diagnostischen Prozess durch ein geschultes Behandlungsteam. Dieses besteht aus einem Psychotherapeuten, Kinderhormonspezialisten, Jugendpsychiater und -psychologen. „Wir sind sehr kritisch, wenn wir über die Pubertätsblockade entscheiden, da es eine sehr eingreifende Maßnahme ist. Aber es gibt eine wohldefinierte Gruppe, die eindeutig profitiert. Die gilt es herauszufiltern“, sagt Stefan Riedl, Leiter der Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung. Er überblickt etwa 100 Trans-Jugendliche, davon erhält ein Drittel bereits eine Hormontherapie. Meist sind sie 14 bis 17 Jahre alt, einige jünger. Eltern vermuten oft ein hormonelles oder psychologisches Problem. Viele der Jugendlichenziehen sich zurück, leiden unter Ängsten, Depression bis hin zu selbstverletzendem und suizidalem Verhalten.

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Geschlecht angleichen

Kommen die beteiligten Experten zu dem Schluss, dass die Geschlechtsdysphorie sehr wahrscheinlich anhalten wird und werden keine anderen Ursachen festgestellt, kann die Blockade bzw. die Angleichung an das Gegengeschlecht erfolgen. Es kommt zur gegengeschlechtlichen Pubertät. Heißt: Bei männlich zu weiblich wächst mithilfe von Östrogen etwa die Brust, Haar- und Bartwuchs gehen zurück. Bei weiblich zu männlich vertieft sich durch Testosteron die Stimme, Barthaar wächst, die Klitoris vergrößert sich. Beide Geschlechter werden unfruchtbar. Bei Transbuben ist das oft reversibel, bei Transmädchen nicht. Ihnen wird deshalb nahegelegt, ihre Spermien vor Beginn der Therapie einfrieren zu lassen.

Die positiven Wirkungen der Hormontherapie überwiegen, die meisten Jugendlichen sind laut Riedl sehr erleichtert. Rückgängig machen lässt sich die gegengeschlechtliche Hormontherapie nicht. Der Wunsch danach komme nur in Einzelfällen vor. Für die hormonelle Behandlung braucht es bei Minderjährigen das Einverständnis der Eltern, die ihre Kinder meist unterstützen. „Es gibt Fälle, wo Jugendliche ganz alleine sind, aber das ist eher selten. Oft ist es so, dass Eltern, die ihr Kind ein ganzes Leben beobachtet haben, denken, dass das der einzige Weg ist. Alles andere bedeutet meist, dass sie ihr Kind verlieren“, weiß Riedl.

Eine Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige ist die Wiener Beratungsstelle Courage. Ihr Leiter, Psychotherapeut Johannes Wahala, sieht heute mehr Akzeptanz für Trans-Personen. Dennoch gäbe es nach wie vor Eltern, die massiv ablehnend reagieren. Bei ihnen sei wichtig, sie darüber aufzuklären, dass sich das Kind durch die Behandlung als Mensch nicht verändert, meint Wahala.

Bei der Courage können transidente 14- bis 25-Jährige seit 2010 in psychotherapeutischen Gruppen über ihr Empfinden, ihre Ängste und Probleme sprechen. Wahala: „Es zeigt sich, dass die Jugendlichen durch den Austausch mit Gleichaltrigen psychische Belastungen sehr schnell abbauen. Die Gruppe ist in diesem Alter eine sehr große Unterstützung.“

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Infos aus dem Internet

Gemeinsam werden etwa Mobbingstrategien erarbeitet, wird über Outing-Tipps oder Erfahrungen mit Sexualität gesprochen. Ab Herbst soll es auch Gruppen mit Kindern ab acht Jahren geben. „Die Nachfrage und der Bedarf auch bei jungen Kindern ist da. Sie sind heute in einem frühen Alter durch das Internet sehr gut informiert, weil sie auf YouTube Dokus sehen und sich austauschen können“, sagt Wahala. Riedl sieht Angebote für diese Altersgruppe kritisch: „Großteils tritt transidentes Verhalten nur vorübergehend auf. Bei jungen Kindern muss verhindert werden, dass sie durch zunehmende Angebote in eine Richtung geführt werden, die sie ohne diese möglicherweise nicht eingeschlagen hätten.“ Voraussetzung sei eine entsprechende kinderpsychologische Expertise.

Für Tom, der erst spät erfuhr, dass er mit seinem Empfinden nicht alleine ist, und der Anfang 20 mit Hormontherapie begann, ist die Blockade der Pubertät eine gute Lösung, um Zeit zu gewinnen. Er selbst engagiert sich für transgender Personen, betreibt auf YouTube einen eigenen Kanal, in dem er Tipps von Outing bis Operation gibt. Ihn stört vor allem, dass viele glauben, trans zu sein, sei eine Entscheidung: „Der Transweg ist so etwas Schwieriges. Betroffene setzen ihr soziales Umfeld aufs Spiel, legen sich unters Messer, nehmen Hormone. Das macht man nicht einfach so.“

Falsches Geschlecht

Transgender Kinder  empfinden sich als Bub, obwohl sie mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, und umgekehrt. Eine anerkannte Erklärung, warum sie sich im falschen Geschlecht empfinden, gibt es nicht. Das Verhältnis transgender Buben zu Mädchen ist  6:1, ab der Pubertät ca. 1:1.

Diversity Ball
Am 5. Mai 2018 findet im Kursalon Wien der elfte Diversity Ball statt. Die Veranstaltung will  ein Zeichen setzen für die Buntheit unserer Gesellschaft, für Toleranz, Barrierefreiheit und gegenseitigen Respekt. www.diversityball.at

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