Wissen/Gesundheit

Suchtexperte Musalek: "Wer nichts trinkt, muss sich rechtfertigen"

Der Psychiater und Psychotherapeut Michael Musalek ist ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien, der größten Suchtklinik in Europa.

KURIER: Einen Monat ohne Alkohol – wie sinnvoll ist so eine Kurzabstinenz?

Michael Musalek: Ich halte das für hervorragend: Erstens, weil dadurch das Thema Alkoholverzicht salonfähig wird – und man sich dann auch nicht mehr so oft entschuldigen muss, wenn man nichts trinkt. Nach wie vor ist ja das große Problem heute, dass sich jemand dafür rechtfertigen muss, wenn er zu alkoholfreien Getränken greift. Und zweitens, weil die Menschen die Möglichkeit bekommen, am eigenen Körper zu spüren, um wie viel besser es ihnen geht: Der Schlaf verbessert sich, ebenso die Konzentration und man fühlt sich körperlich viel wohler. Und man merkt, wie leicht oder schwer es einem fällt, auf Alkohol zu verzichten.

Und wenn es schwerfällt?

Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die bereits körperlich abhängig sind und bei einem Alkoholverzicht ohne medizinische Betreuung Entzugserscheinungen bekommen – Zittern, Schwitzen in der Früh, Unruhe- und Spannungsgefühle, möglicherweise auch Übelkeit und Erbrechen am Morgen. Das kann gefährlich werden. Treten Entzugssymptome auf, muss unbedingt ein auf Suchttherapie spezialisierter Arzt beigezogen werden. Ein kalter Entzug kann zu Delirien (akuter Zustand von Verwirrtheit, Anm.) und zu epileptischen Anfällen führen.

Ist der Druck auf Abstinente wirklich so groß?

Ich finde schon. Ich wurde selbst unlängst auf einem Fest angesprochen, warum ich nichts Alkoholisches trinke. Ich habe mit folgendem Satz gekontert: „Ich glaube nicht, dass ich jetzt einen Erklärungsbedarf habe. Aber vielleicht sagen Sie mir, warum Sie glauben, jetzt unbedingt Alkohol trinken zu müssen?“ Wenn jemand ein Suchtgift wie Kokain nimmt, fragt man ja auch nicht alle anderen, warum sie es nicht nehmen – sondern man fragt den, der es nimmt, warum er das tut. Nur beim Alkohol ist das anders – und man bekommt bei einem Fest den Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben, wenn man nichts trinkt. Aber wenn alle trinken, kann man damit eigene Alkoholprobleme leichter verstecken.

Kann ein alkoholfreier Monat eine Art Freibrief für die restliche Zeit werden?

Natürlich nicht, und das muss bei entsprechenden Kampagnen auch vermittelt werden: Einen Monat nichts zu trinken ist zwar super, darf aber nicht als Rechtfertigung missbraucht werden, elf Monate massiv zu trinken.

Sehen Sie weitere Effekte?

Ein alkoholfreier Monat ist eine Einladung, neue, alkoholfreie Getränke auszuprobieren. Hier müssen sich aber Getränkeindustrie und Gastronomie mehr Gedanken über neue Geschmacksrichtungen machen. Überspitzt gesagt: Nur süßes Wasser als alkoholfreie Alternative anzubieten ist zu wenig. Da erwarte ich mir einen Innovationsschub – obwohl sich schon viel getan hat, besonders in der gehobenen Gastronomie und auch in vielen Bars mit alkoholfreien Cocktails.