Mobile Dienste: Wie eine diplomierte Pflegerin ihre Arbeit sieht
Von Ingrid Teufl
Wenn Magdalena Spanitz frühmorgens an das straßenseitige Fenster in Katzelsdorf bei Wiener Neustadt klopft, ist Maria Braunstorfer schon seit gut einer Stunde auf. Sie winkt, öffnet das Fenster einen Spalt und reicht den Schlüssel für das verschlossene Hoftor heraus.
Dieses Ritual hat sich in der achtjährigen Bekanntschaft längst eingespielt. Spanitz ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin beim Hilfswerk NÖ in Katzelsdorf bei Wiener Neustadt und betreut die Pensionistin täglich. „Wenn man sich so lange kennt, baut sich auch ein persönliches Verhältnis zueinander auf“, sagt sie später in der Küche, während sie Blutzucker und Blutdruck der 76-Jährigen misst. Die nickt und hängt sich nach Abschluss der medizinischen Tätigkeiten leutselig bei ihrer Betreuerin ein. „Sie ist wirklich goldig.“
„Nicht bereut“
Seit ihrem zweiten Schlaganfall ist Maria Braunstorfer, die seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren alleine lebt, Kundin beim Hilfswerk. Ihre Kinder, die zwar in der Nähe wohnen, aber berufstätig sind, wollten ihre Mutter gut betreut wissen. Da sie auch Diabetikerin ist und ihr Blutzucker kontrolliert werden muss, bot sich an, die mobile Hauskrankenpflege in Anspruch zu nehmen. „Das haben wir seither nicht bereut.“ Um den Arm trägt sie zusätzlich ein Notfall-Armband, mit dem sie unkompliziert Hilfe rufen kann.
Betreuungsaufwand gering
Im Gegensatz zu anderen Kunden ist der Betreuungsaufwand bei ihr relativ gering. Manche werden bis zu drei Mal pro Tag besucht, für einen Termin kann mehr als eine Stunde veranschlagt werden. Was notwendig ist, wird bei einer Pflegeberatung mit Betroffenen und Angehörigen besprochen. „Das Beraten und Unterstützen zu Beginn wird immer wichtiger“, betont Spanitz. Oft kommt ein Pflegebedarf für die Familie überraschend, etwa nach einem Sturz oder Infarkt. Wichtig ist Spanitz ein wertfreier Zugang. „Wir sind an der Schnittstelle zwischen stationärer und häuslicher Pflege positioniert.“
Noch selbstständig
Maria Braunstorfer lebt noch weitgehend selbstständig in ihrem Bauernhof mitten im Ort, pflegt ihre nachbarschaftlichen Kontakte. Sie kocht täglich selbst, eines ihrer drei Kinder oder fünf Enkel kommen jeden Tag vorbei. „Die wollen ja nicht, dass ich alleine in den Garten gehe“, sagt sie augenzwinkernd. „Aber sie haben ja eh recht. Weil, wenn ich hinfall’, das wär wirklich blöd.“
Für die 40 Hilfswerk-Mitarbeiter in Katzelsdorf ist Frau Braunstorfer eine von 155 Kunden, die täglich von den mobilen Teams betreut werden. Vier bis sieben Personen umfasst die tägliche Liste jeder Mitarbeiterin. Und das je nach Bedarf – von professionellen Krankenpflegerinnen über Heimhilfe bis zu Ergo- und Physiotherapeuten. Am häufigsten sind klassische Dienste wie Medikamenten-Einteilung für einen oder mehrere Tage und Wundversorgung gefragt. Oft ist auch Unterstützung bei der Körperpflege notwendig. Spanitz verhehlt nicht, dass es Grenzen für mobile Dienste gibt. Etwa, wenn ein Kunde wegen Demenz nachts zu unruhig wird.
Zuhause alt werden
Mobile Dienste wie das Hilfswerk unterstützen vor allem den Wunsch nach Älterwerden in den eigenen vier Wänden – und sind damit ein wichtige Faktor, das zu ermöglichen. „Wer dem befürchteten Run auf die Pflegeheime ernsthaft begegnen will, muss vor allem die mobile Pflege strukturell, finanziell und personell forcieren“, betont Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreichs.
Fordernd, aber schön
Die mobile Betreuung sei manchmal fordernd, sagt Magdalena Spanitz. Für sie ist es dennoch „der schönste Beruf“. Die dreifache Mutter „wollte immer schon in die Pflege, damit kann man so viel bewirken“. Das war auch der Grund, warum die diplomierte Krankenschwester vom stationären Bereich in die Hauskrankenpflege wechselte. „Hier kann ich die Menschen ganzheitlich sehen und ich habe eine fixe Betreuungszeit für jeden.“
Trotz persönlicher Beziehungen, die im Lauf der Zeit entstehen, ist für die professionellen Mitarbeiter in Pflege und Betreuung freilich auch Abgrenzung nötig und wichtig. „Aber wir versuchen, nach Möglichkeit auf Wünsche und Bedürfnisse einzugehen“, betont Spanitz. Frau Braunstorfer schmunzelt: „Ich bin zufrieden, es passt alles.“ – „Und wenn nicht“, sagt ihre Betreuerin, „finden wir eine Lösung“.
Ländlicher Raum: Bei jeder Witterung unterwegs
Ein Patschen, als sie nach der Betreuung eines Kunden – das ist eines jener Erlebnisse, an die sich Amra Karadza auch nach 20 Jahren als mobile Betreuerin beim Hilfswerk NÖ noch gut erinnert. „Plötzlich kamen aus mehreren Häusern gleich drei Männer, sie hatten gesehen, dass etwas bei meinem Auto nicht passt.“ Kurzerhand wechselten sie den schadhaften Reifen. Die Erfahrung, dass ihr anstandslos geholfen wurde, hat sie nicht vergessen. „Man bekommt so viel zurück.“
Helfen und unterstützen – das sieht die diplomierte Krankenpflegerin als Wesen ihres Berufs. Im ländlichen Raum stellt die mobile Betreuung andere Anforderungen als im städtischen. Im Bezirk Horn (Waldviertel) sind rund 100 Mitarbeiter in 23 Gemeinden unterwegs. „Alle fahren wir 60 bis 100 Kilometer pro Tag und kommen auf mindestens 1500 Kilometer pro Monat. Ich glaube, es gibt kein Dorf, in dem ich nicht schon gewesen bin“, sagt Karadza. Im Winter sind das manchmal besondere Herausforderungen. „Aber man stellt sich auf die Region ein. Mit der Zeit schaut man nicht mehr aufs Wetter und setzt sich einfach ins Auto.“
Versorgung in Zahlen
In Österreich beziehen rund 455.000 Menschen Pflegegeld. 85 Prozent von ihnen leben daheim – 46 Prozent werden von Angehörigen betreut, 31 Prozent greifen auf mobile Dienste zurück. Fünf Prozent leben mit 24-Stunden-Betreuung und zwei Prozent nehmen teilstationäre Dienste (Tageszentren) in Anspruch.
Anbieter
Mobile Dienste werden durch private gemeinnützige Träger erbracht (z. B. Rotes Kreuz, Caritas, Volkshilfe, Hilfswerk), zuständig sind die Länder. Die Kosten sind individuell und von der Pflegestufe abhängig.