Künstliche Intelligenz in der Medizin: Welche Chancen und Risiken gibt es?
"Die Künstliche Intelligenz (KI) hat in unserer Gesellschaft gerade so eine Kraft, dass sie anscheinend alles verändert und umwälzt", sagt der Genetiker Markus Hengstschläger in der von ihm präsentierten, neuesten Ausgabe des Wissenschaftstalks "Spontan gefragt" auf KURIER.TV zum Thema "Künstliche Intelligenz in der Medizin: Wo steht die Forschung?" Während einerseits viele Menschen große Chancen in dieser neuen Technologie - gerade auch in der Medizin - sehen, gibt es andererseits auch viel Misstrauen und Besorgnis. Die Sendung entsteht in Kooperation mit dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF.
"Wir entwickeln Methoden aus dem Bereich maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, deren Hauptziel ist, Vorhersagen zu machen", sagt Georg Langs, Professor für Maschinelles Lernen in der medizinischen Bildgebung an der Medizinischen Universität Wien. Er studierte Mathematik an der TU Wien und arbeitete bzw. forschte u. a. an der Ecole Central de Paris in Frankreich sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA: KI soll etwa helfen vorherzusagen, wie sich eine Krankheit weiter entwickeln wird, ob und wie eine bestimmte Therapie wirken wird. Dabei werde immer versucht, aus Bildgebungsdaten (z. B. MRT, CT, Röntgen) und auch genetischen Daten spezielle Profile bei einzelnen Patientinnen und Patienten zu finden, die es ermöglichen, solche Vorhersagen zu machen.
Langs gibt ein Beispiel aus einem Projekt, das er mit Unterstützung des WWTF durchführt: Dabei geht es um Brustkrebspatientinnen, die vor einer Operation eine Chemotherapie erhalten mit dem Ziel, den Tumor zu verkleinern. "Wir glauben, dass wir mit Bilddaten (MRT) und genetischen Daten vorhersagen können, ob das funktionieren wird oder nicht" - ob also die Patientin auf eine Chemotherapie ansprechen wird oder diese möglicherweise vermeiden kann, weil sie nicht wirken wird und deshalb die Patientin zwar belastet, aber keinerlei Vorteile für sie bringt. "Wir verwenden maschinelles Lernen dafür, dies herauszufinden."
Künstliche Intelligenz: Welche Daten liegen ihr zugrunde?
Zurückhaltend und mit einiger Skepsis äußerte sich die Fernsehmoderatorin, Schauspielerin und Kabarettistin Verena Scheitz. Sie studierte am Konservatorium der Stadt Wien Schauspiel und Tanz und absolvierte anschließend noch das Studium der Rechtswissenschaften. Sie verwies auf das Beispiel von vielen Medikamenten, für deren Zulassung "vor allem Daten von weißen Männern" erhoben wurden: "Dabei ist die Frau doch ganz anders, etwa in der hormonellen Situation." Wenn KI große Datenmenge verarbeite, stelle sich aber auch die Frage: Wer darf diese Daten nutzen und benutzen? Wie sieht die Aufsicht aus? Wem gehören diese Modelle und wer haftet, wenn Fehler passieren?" Fazit für Scheitz: "Ich misstraue KI, weil ich glaube, dass die Daten, die in den Modellen gespeichert werden, nicht gleichmäßig und überschaubar eingeholt werden."
Langs betonte die Notwendigkeit, dass die Daten, mit denen KI-Modelle trainiert werden, von allen Patientengruppen gleichermaßen stammen, also Frauen und Männern. Aber nicht nur das: "Sind es lediglich Daten von Patientengruppen von großen akademischen Zentren? Oder sind auch Daten von Patienten aus ländlichen Regionen enthalten?"
Es gebe aber noch einen weiteren wichtigen Punkt: "Die Modelle lernen von Beobachtungen." Komme ein Patient eine Woche nach einer Behandlung wieder ins Spital, kann der Grund darin liegen, dass die Therapie nicht funktioniert hat. Kommt der Patient nicht mehr, könnte das als Qualitätsmerkmal interpretiert werden: "Aber solche Schlüsse sind gefährlich. Der Patient kann auch aus ganz anderen Gründen nicht mehr kommen, etwa weil er weggezogen ist." Deshalb sei es wichtig, dass die Daten, mit denen maschinelle Systeme trainiert werden, sehr heterogen, sehr vielfältig sind und vielen verschiedenen Zentren stammen.
KI wird Ärzte nicht ersetzen
"Was wird dann in Zukunft die Maschine machen und was der Arzt?", fragte Moderator Hengschläger. "Noch vor fünf Jahren hat es bei Radiologen-Kongressen große Publikumsabstimmungen darüber gegeben, wie lange es noch Jobs für Radiologen geben wird. Aber das ist total verschwunden", betonte Langs. Es gehe nicht darum, die Diagnostik wegzuautomatisieren, "sondern die eigentliche Aufgabe von KI ist es, mehr zu machen und die Radiologinnen und Radiologen zu unterstützen."
Langs nennt ein Beispiel: "Ich sehe im CT ein Lungenknötchen. Das Bild zeigt mir die Größe, aber die KI gibt mir zusätzlich Informationen, etwa zur Prognose: Soll ich das Risiko eingehen, eine Biopsie zu machen? Oder reicht eine Kontrolle in einigen Monaten?" Für solche Prognosen werden die Daten der Labormedizin, der Pathologie und der Radiologie integriert: "Das Zusammenspiel unterschiedlicher Fachrichtungen wird sich ändern."
Der Wissenschafter betonte auch, dass die Haftung beim Arzt, und nicht beim Produzenten des jeweiligen KI-Modells liegt. Der Produzent sei aber für die Qualitätsstandards verantwortlich: Dass bedeute nicht, dass die Künstliche Intelligenz mit ihrer Diagnose zu 100 Prozent richtig liegt, sondern etwa zu 95 oder 98 Prozent. Und das muss der Arzt verstehen, wenn er so ein Tool verwendet."
Langs verwies auch darauf, "dass wir viel mit Patientinnen und Patienten geredet haben, ob sie überhaupt wollen, dass die KI für die Diagnose verwendet wird. Die Antwort war: Ja, sie wollen das, aber sie wollen wissen, was die KI vorgeschlagen hat und was am Schluss aber letztlich von den Ärzten entschieden worden ist."