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Experten schlagen Alarm: Österreich beim Impfen "unterirdisch schlecht"

Beim Thema Impfen sieht es in Österreich düster aus – oder wie Apothekerkammer-Vizepräsident Gerhard Kobinger es formuliert: „unterirdisch schlecht“. Mit einer Durchimpfungsrate von nur 84 Prozent gegen Keuchhusten bildet Österreich im EU-Vergleich das Schlusslicht. Auch bei Masern gibt es wenig Grund zur Freude: Über 500 Fälle allein im Jahr 2024 bedeuten einen traurigen Rekord. Damit gehört Österreich zu den europäischen "Top Ten" mit der höchsten Inzidenz.

Besonders alarmierend: Der Großteil der Masern-Erkrankten ist ungeimpft. Für die Ausrottung der Masern wäre eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent nötig. Doch besonders die Jahrgänge 2019 und 2020 liegen laut einem Bericht des Sozialministeriums mit weniger als 80 Prozent weit unter dem Zielbereich.

Eine positive Ausnahme sind die 10- bis 18-Jährigen: Diese Altersgruppe erreicht eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent und trägt damit wesentlich zum Herdenschutz bei. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie an der MedUni Wien, macht die Impfmüdigkeit der jüngsten Jahrgänge vor allem an der Corona-Pandemie fest. „Während der Pandemie ist die Sensibilisierung für andere Infektionskrankheiten stark zurückgegangen“, erklärt sie. Hinzu komme die Zurückhaltung der Politik, das Thema Impfen aktiv anzugehen, aus Angst vor gesellschaftlichen Kontroversen.

Maßnahmen dringend nötig

Die steigenden Erkrankungszahlen machen laut Rudolf Schmitzberger, Leiter des Referats für Impfangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer, Anpassungen im Impfplan notwendig. So soll etwa die zweite Keuchhusten-Auffrischungsimpfung bereits im 6. Lebensjahr im Rahmen der 5-Jahres-Untersuchung im Mutter-Kind-Pass-Untersuchung erfolgen. Neben solchen strukturellen Änderungen braucht es auch verstärkte Aufklärung, sagt Kobinger. Apotheken könnten hier eine Schlüsselrolle spielen, insbesondere bei Fragen zu Impfreaktionen oder Unsicherheiten – etwa rund um das Impfen in der Schwangerschaft. Beispielsweise wissen viele nicht, dass eine Immunisierung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) während der Schwangerschaft auch dem Neugeborenen einen ersten passiven Schutz bietet.

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Trotz der schlechten Impfquoten gibt es auch positive Entwicklungen: Der elektronische Impfpass wird seit Herbst flächendeckend in ganz Österreich ausgerollt. Er ersetzt schrittweise den gelben Papierpass und zeichnet alle Impfungen digital auf. „Das macht Impfungen nachvollziehbar, erinnert automatisch an Auffrischungen und hilft, den Überblick zu behalten“, so Wiedermann-Schmidt.

Polio im Visier

Besondere Aufmerksamkeit gilt derzeit auch der Poliomyelitis, besser bekannt als Kinderlähmung. Zwar wurde der letzte Fall dieser hochansteckenden Viruserkrankung in Österreich 1980 registriert, doch seit dem Auftreten von Virusrückständen in deutschen und polnischen Abwässern wird die Lage streng beobachtet. Bisher gibt es in Österreich keine Meldungen über Polioviren, doch Wiedermann-Schmidt warnt vor möglichen Impflücken. Essenziell sei daher, auch gegen vermeintlich verschwundene Krankheiten zu impfen.