Wissen/Gesundheit

Frühchen auf der Intensivstation: Eltern nicht mehr als "Besucher" begreifen

Eltern von Frühgeborenen sollen künftig noch mehr in der intensivmedizinischen Pflege eingebunden werden. Wir entwickeln "klare Konzepte und Strukturen, wie wir Eltern einbeziehen und schulen können", berichtete der Mediziner Sven Matthias Wellmann am Mittwoch vor dem Kongress der europäischen pädiatrischen Fachgesellschaften (EAPS) in Wien. 

Vor rund 20 Jahren wurden Eltern in der Intensivstation noch als Besucher des "Frühchens" gesehen, hier gab es einen Paradigmenwechsel.

Eltern als Teil des frühgeborenen Babys

Heute gelte es, Eltern als Teil des frühgeborenen Kindes zu begreifen, hieß es in einer Aussendung des Austria Center Vienna (ACV), wo die Fachärztekonferenz von 17. bis 20. Oktober stattfindet. "Eltern und Kind gehören psychologisch zusammen. So hat der Haut-zu-Haut-Kontakt, wie er beim "Känguruhen" entsteht, eine wesentliche neuroprotektive Wirkung", berichtete Wellmann.

Beim "Känguruhen", einer in den 1980er-Jahren in Österreich entwickelten Methode, liegt das Baby nur mit einer Windel bekleidet, über mehrere Wochen hinweg mehrere Stunden täglich am nackten Oberkörper der Mutter oder des Vaters. "Eltern und Neugeborene beruhigen sich und das Stresserlebnis wird vermindert. Das fördert die generelle Entwicklung des Babys und ist ganz besonders für die Reifung des Gehirns wichtig", erläuterte der Chefarzt und Klinikleiter der Abteilung Neonatologie der Barmherzigen Brüder KUNO Klinik St. Hedwig in der deutschen Stadt Regensburg und Council-Mitglied der European Society for Paediatric Research (ESPR).

Umfassende Hilfe zur Selbsthilfe

Die Einbindung der Eltern "beginnt mit dem 'Känguruhen', geht über Unterstützung beim Stillen bis hin zu psychologischer und physiotherapeutischer Unterstützung, die auch nach der Entlassung aus dem Spital eine bestmögliche Fortsetzung der Therapie zu Hause ermöglicht", betonte Wellmann. So können Eltern nach erfolgter Einschulung mit gewissen Folgen von Komplikationen - wie leichte Atemstörungen, Anfälligkeiten für Infektionen und neurologischen Problemen - zu Hause gut zurechtkommen. Leichte neurologische Probleme können durch entsprechende Frühförderung der Kinder durch die Eltern und in den Bildungseinrichtungen bereits so gut ausgeglichen werden, dass die Kinder langfristig die gleichen Chancen haben, wie andere Kinder, wurde erläutert.

Globale Versorgungsunterschiede bestimmen Überlebenschancen

Weltweit kommt laut WHO jedes zehnte Kind zu früh auf die Welt. Haben Frühchen in Entwicklungsländern aufgrund der Versorgungsmöglichkeiten nach wie vor kaum Überlebenschancen, ist es in hoch entwickelten Ländern schon möglich, Babys, die an der Grenze der Lebensfähigkeit geboren werden, Perspektiven anbieten zu können. "Bei uns liegen die Überlebenschancen ab 22 Schwangerschaftswochen (SSW 22+0 bis 22+6) bei 50 Prozent, ab 23 Schwangerschaftswochen schon bei 70 bis 80 Prozent und ab 28 Schwangerschaftswochen sogar bei über 90 Prozent", berichtete Wellmann.

"Zu den häufigsten Komplikationen bei extremer Frühgeburt zählen Hirnblutungen, Lungenblutungen, Darmkomplikationen und schwere Infektionen. Diese schwersten Komplikationen treten bei ca. 20 bis 30 Prozent der extremen Frühchen auf", sagte der Mediziner. Welche medizinischen Maßnahmen notwendig sind, um die Überlebenschancen von Frühgeborenen zu erhöhen, wird bei dem Kongress ebenso diskutiert wie die Frage, wie die genannten Beeinträchtigungen durch neue Therapien vermieden werden können.