Das Rätsel der Corona-Infektionen ohne Symptome
Von Ernst Mauritz
40 Prozent aller Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen ohne Symptome, hat die US-Gesundheitsbehörde CDC veröffentlicht. „Aus meiner Erfahrung ist der Anteil sogar noch größer, bei Kindern liegt er an die rund 80 Prozent“, sagt der österreichische Infektiologe Emil Reisinger, Dekan der medizinischen Fakultät der Uni Rostock in Deutschland. Fünf Gründe, die diskutiert werden.
Angeborenes Immunsystem: Jeder Mensch hat ein angeborenes, „unspezifisches“ Immunsystem. Dieses ist die erste Abwehrfront, reagiert sofort auf alle Krankheitserreger und bekämpft sie mit speziellen Abwehrzellen und Eiweißen: „Bei Kindern und Jugendlichen ist diese Abwehr besonders stark. Die rasche Reaktion dieses Teils unserer Immunabwehr dürfte ein wesentlicher Grund für die vielen Infektionen ohne Symptome bei jungen Menschen sein.“ Ist diese Abwehrlinie nicht erfolgreich, wird das erworbene, spezifische Immunsystem aktiv. Dieses muss den Erreger erst kennenlernen, um ihn gezielt bekämpfen zu können – das aber dauert länger, das Virus hat mehr Zeit, sich auszubreiten.
Geringere Virendosis: Die Schwere der Erkrankung dürfte auch von der aufgenommenen Virenmenge abhängen. „Es gibt bereits Daten, dass dort, wo Masken getragen werden, der Anteil der Krankheitsverläufe ohne oder nur mit milden Symptomen häufiger ist.“ Infizierte Maskenträger geben weniger Viren weiter, gesunde Maskenträger nehmen weniger Viren auf.
Reisinger gibt ein Beispiel mit Richtwerten: „Wenn jemand ohne Maske 1.000 Viren auf seine Nasen- und Rachenschleimhäute bekommt, zerstört sein angeborenes Immunsystem an die 500. Weitere 100 scheitern beim Andocken an die Zellen. 400 schaffen es ins Zellinnere, 200 werden dort vernichtet. Es bleiben also 200, die eine Infektion auslösen. Wenn Sie eine Maske tragen, kommen Sie vielleicht mit 100 statt 1.000 Viren in Kontakt, 20 statt 200 infizieren dann ihre Zellen. Bis sich diese zu einer kritischen Menge vermehrt haben, hat sie das Immunsystem bereits bekämpft.“
Genetisches Glück: Genetische Variationen können dazu führen, dass man weniger jener Andockstellen (ACE2-Rezeptoren) etwa auf seinen Atemwegszellen hat, die das Virus braucht, um in die Zellen eindringen zu können. „Auch die Struktur dieser Eintrittspforten in die Zellen kann anders sein, sodass es für das Virus schwieriger wird, daran zu binden.“ Zudem gibt es Hinweise, dass ältere Menschen mehr dieser Rezeptoren haben und auch dadurch bei Ihnen die Wahrscheinlichkeit eines sehr milden Krankheitsverlaufs geringer sein könnte.
Viele Corona-Erkältungen: Wer viele Infekte mit den vier verbreiteten Corona-Erkältungsviren durchgemacht hat, könnte auch einen gewissen Schutz vor SARS-CoV-2 haben und deshalb mehr Krankheitsverläufe ohne Symptome haben. „Endgültig belegt ist das aus meiner Sicht aber nicht.“
Wenig erforschte Ursachen: Generell erhöht ein guter allgemeiner Gesundheitszustand die Chance für asymptomatische oder zumindest milde Krankheitsverläufe. So finden sich auch auf Fettzellen ACE2-Rezeptoren – möglicherweise ein Grund, warum starkes Übergewicht ein Risikofaktor für schwerere Verläufe ist. Reisinger: „Aber alle Gründe für Verläufe ohne Symptome kennen wir sicher noch nicht.“