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Gehörlos: Wenn der Arzt mit Händen redet

Fast alle Plätze im Warteraum sind besetzt, vor dem Anmeldeschalter warten noch weitere Patienten. Professionelle Betriebsamkeit in einer Ambulanz in einem Wiener Krankenhaus. Die Dame am Empfangsschalter hat alle Hände voll zu tun.

Buchstäblich. Denn Susanne Grabner spricht mit den Händen. Und wie! Für Unkundige schaut das wie heftiges Gestikulieren und Grimassenschneiden aus. "Die Gebärdensprache lebt durch Bewegung", sagt sie. Dementsprechend hoch geht es her, wenn die Wartenden plaudern. Praktisch laut-, aber nicht wortlos. Hand- und Fingerpositionen wechseln blitzschnell. Ihre Sprache ist in Österreich seit August 2005 als Kommunikationsform anerkannt.

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Die Gebärdensprache ist neben medizinischem Können das wichtigste Instrument hier in der Gehörlosen-Ambulanz im Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, der einzigen derartigen Anlaufstelle in Ostösterreich. "Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz zwischen Medizin und Mensch. Unsere Patienten wissen, dass hier der Arzt auch wirklich ihre Sprache spricht", sagt Ambulanzleiterin Dr. Eva Munkenbeck. Sie sieht sich selbst in der Tradition der Hausärzte: "Wir haben hier ein ganz anderes Bild von unseren Patienten. Ich weiß auch über die soziale Situation Bescheid und kann das berücksichtigen."

Hörende und sprachlich gewandte Menschen denken nicht an die Probleme, die Gehörlosen im Alltag ständig begegnen. Etwa, dass es nichts bringt, laut oder übergenau zu sprechen. "Unsere normale gesprochene Sprache ist für Gehörlose wie eine Fremdsprache. Auch ist die deutsche Schriftsprache nicht eins zu eins in die Gebärdensprache umsetzbar", erklärt die Ärztin. Sie höre oft auch von Kollegen, dass diese die Diagnose und Behandlung "eh aufgeschrieben" haben. "Ich vergleich' das dann immer mit meinen Portugiesisch-Kenntnissen. Da kann ich auch alles lesen. Aber verstehen kann ich vieles nicht." Deshalb begleiten Mitarbeiter der Ambulanz ihre Patienten auch auf andere Abteilungen, vor allem, wenn spezifische Untersuchungen notwendig sind.

Vertrauen

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60 Mitarbeiter im Krankenhaus haben einen Gebärdensprachkurs absolviert. Alle Mitarbeiter der Gehörlosen-Ambulanz - unter ihnen eine gehörlose Psychologin und ein gehörloser Sozialarbeiter , kommunizieren mit den Patienten in Gebärdensprache. Eva Munkenbeck: "Manches ist vertraulich, da braucht man jemanden, dem man vertraut. Wer versteht, woran er leidet, sieht auch den Nutzen einer bestimmten Therapie."

Griffige Vergleiche hat die engagierte Ärztin oft parat. Das liegt vielleicht an ihrer täglichen Arbeit. Die Gehörlosenkultur ist anders als jene Welt, in der sich Kommunikation oft nur über Höhen und Tiefen in der Stimmlage definiert.

"Wir erleben unsere Patienten höchst freundlich, offen und neugierig. Sie freuen sich, wenn jemand mit ihnen Kontakt aufnimmt, sind aber auch direkter." Wenn sie etwa von der "dicken" und der "dünnen" Sekretärin sprechen, ist das nicht abwertend sondern schlicht als Unterscheidung gemeint. In dieser Ambulanz sind die Patienten mehr als nur geduldet. "Manchmal wundere ich mich, dass das Wartezimmer nicht leer wird", gesteht Munkenbeck. "Dann wird mir erst klar, dass viele dageblieben sind, um noch ein wenig zu plaudern."

Info: Versorgung in ganz Österreich

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Zahlen In Österreich sind 8000 Menschen völlig gehörlos. Insgesamt leben in Österreich 450.000 Menschen mit beeinträchtigtem Hörvermögen.

Einrichtungen In Wien, Linz und Graz betreiben die Barmherzigen Brüder Gehörlosen-Ambulanzen. Auch in der Salzburger Landesklinik gibt es eine Anlaufstelle.

Gebärdensprache Grammatik und Wortschatz sind anders als in der deutschen Sprache. Es gibt landeseigene Formen: österreichische, deutsche und schweizerische Gebärdensprache. Letztere hat fünf Dialekte. Weit verbreitet ist auch die "American Sign Language".