Fern-Ziel Mars: Wann ist es soweit?
Wer hier überleben will, der muss sich einigen Herausforderungen stellen: Nächte, die schon mal -100 Grad kalt werden können; gewaltige Staubstürme; statt 80 kg nur noch etwa 30 kg Körpergewicht; eine Atmosphäre, die flüssiges Wasser nicht halten kann; keine Nahrung, keine Unterkunft und zum Drüberstreuen eine Sonne, die um ein Drittel kleiner wirkt als auf der Erde: Auf dem Mars ist alles ganz anders. Trotzdem ist es das Sehnsuchtsziel für alle, die von einer Mars-Kolonie träumen. Wie realistisch diese Visionen sind, hat der National-Geographic-Channel abgeklopft und den aktuellen Forschungsstand in eine sechsteilige Serie gepackt (ab 13. November, 21 Uhr, Bezahlsender National Geographic Channel).
Fernsehvision
Wir schreiben das Jahr 2033. Sieben Monate lang reist eine Raumschiffbesatzung durchs All, um erstmals den Roten Planeten zu betreten. Als die Daedalus endlich die Mars-Atmosphäre erreicht, fällt das Landesystem aus und die sechsköpfige Crew erlebt den ersten lebensbedrohlichen Notfall auf ihrer historischen Mission.
Realität
Damit sind wir bereits bei den realen Problemen: Eine weiche Landung auf dem Mars ist aufgrund der höheren Schwerkraft viele schwieriger als auf dem Mond. Die Nutzlast – Menschen plus Ausrüstung würde mindestens 20 Tonnen wiegen und riesig wie ein Haus sein. Zum Bremsen bräuchte man einen Fallschirm, der fünfeinhalb Fußballfelder groß wäre. Unmöglich.
Daher hofft man auf das private Raumfahrtunternehmen SpaceX von Elon MuskMusks und seine Überschall-Bremsraketen. „Falcon 9“ hat im Vorjahr den ersten diesbezüglichen Test bestanden: Wenige Minuten nach dem Start löste sich die Antriebsrakete, brannte aber nicht wie normale Raketentriebwerke aus, sondern dreht um, zündete erneut und lenkte die Rakete zurück zum Ausgangsort. Bremsen. Landen. Jubeln.
Das gab den Plänen von Musk Auftrieb – er kündigte an, dass 2025 die ersten Raumfahrer zum Mars starten und mit dem Aufbau einer Kolonie beginnen könnten. Wer bei der Nasa nachfragt, erfährt, dass das ganze Unterfangen doch um einiges komplizierter ist, als millionenschwere Visionäre es sich vorstellen. Schon die Reise birgt viele Gefahren: Sieben Monate in einer engen Raumkapsel fordern ihren Tribut: „Das Riskio einer schweren Infektion wird größer und größer, ja länger man im All unterwegs ist“, sagt Oliver Ullrich, Weltraummediziner am Anatomischen Institut der Uni Zürich und Honorarprofessor für Weltraumbiotechnologie in Magdeburg. Muskel- und Knochenmasse wären trotz regelmäßigem Trainings (sofern das Raumschiff groß genug für Sportgeräte wäre) in Mitleidenschaft gezogen.
Riesen-Belastung
„Die große Gefahr droht nach der Landung“, weiß Ullrich. „Dann ist die Crew plötzlich der Mars-Schwerkraft ausgesetzt – nach Monaten der Schwerelosigkeit“. Das bedeute eine Riesenbelastung für den Körper, die Gefahr von Knochenbrüchen inklusive. „Astronauten, die von Langzeitmissionen auf die Erde zurückkehren, können sich monatelang unter medizinischer Betreuung erholen. Das ginge auf einer Mars-Mission nicht. Sie müssen sofort einsatzfähig sein.“
Schwerelosigkeit verändert auch die Aktivität von Hunderten Genen innerhalb von Minuten. Ullrich vermutete lange, dass unser zellulärer Bauplan ideal an die Erde angepasst sei und ein Leben außerhalb der Schwerkraft der Erde auf Dauer unmöglich mache. Jetzt aber hat der Weltraummediziner in Experimenten auf Parabelflügen herausgefunden, dass „unsere Zellen die unglaubliche Fähigkeit besitzen, sich an die Schwerelosigkeit anzupassen. Eine menschliche Zelle scheint ziemlich gut darauf vorbereitet zu sein, Schwerkraftänderungen zu überstehen.“
Mikroplanet Raumschiff
Besonders die Langzeitaufenthalte auf der ISS haben geholfen, die gesundheitlichen Risken besser abzuschätzen. Ullrich: „Ein Flug zum Mars hat aber ganz andere Rahmenbedingungen“. Anders als auf der ISS kann man nicht mal rasch auf die Erde fliegen, wenn es Probleme gibt. „Eine Evakuierung ist nicht möglich, eine Intervention von der Erde auch nicht und man hat die Herausforderung eines abgeschlossenen Lebensraumes, ohne neue Wasser- oder Atemgasvorräte. Das bedeutet: Der Astronaut ist jahrelang in einem autarken Habitat unterwegs.“ Der Weltraummediziner nennt es einen „Mikroplaneten, der völlig autonom und robust funktionieren muss.“ Wasser muss zum Beispiel aus Urin und Schweiß wieder aufbereitet werden. Allerdings können Kalzium-Rückstände aus den schrumpfenden Knochen der Astronauten die Filter verstopfen. Und jedes Ersatzteil muss von der Erde mitgebracht werden.
Nach der Landung
Glücklich auf dem Roten Planten gelandet, lauert dort die kosmische Strahlung, die mit beinahe Lichtgeschwindigkeit aus den Tiefen der Galaxie kommt und DNA und Hirnzellen schädigt. Dicke Wände könnten sie fernhalten. Doch woher nehmen? Baumaterial für Wohnungen muss vor Ort hergestellt werden, ein Transport wäre zu teuer. Nicht ganz abwegig: Forscher haben aus Mars-Boden bereits Schwefel-Beton hergestellt.
Es gibt also Millionen Dinge, die überlegt sein wollen, ehe man startet. Genau das sei in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt, sagt Ullrich. „Es gibt weltweit eigene Teams, die Probleme identifizieren und priorisieren. In Europa ist es das Theseus-Projekt, das die größten Risiken identifiziert soll.“ Das wird dauern. Daher steht es in den Sternen, wann die Menschheit reif für den Marsflug ist.
Und so kann es schon mal passieren, dass sogar Nasa-Wissenschaftler die Begeisterung dämpfen: „Wer davon träumt, auf den Mars zu leben, dem empfehle ich einen Sommer auf einer Südpolstation“, sagt etwa Mars-Experte Chris McKay. Und Michail Kornijenko, der sechs Monate auf der ISS war, erzählt, dass er bei seiner Rückkehr auf die Erde gar nicht genug von der Luft bekommen konnte. „Am liebsten willst du einen Löffel davon nehmen und sie auf eine Scheibe Brot streichen“.
Alle lasse sich ohnedies nie im Vorfeld antesten: Ein Raumflug ist und bleibt ein Risiko. Man wird ein restrisiko in Kauf nehmen müssen.
Es gibt also Millionen Dinge, die überlegt sein wollen, ehe man startet. Genau das sei in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt, sagt Ullrich. "Es gibt weltweit eigene Teams, die Probleme identifizieren und priorisieren. In Europa ist es das Theseus-Projekt, das die größten Risiken identifiziert soll." Das wird dauern. Daher steht es in den Sternen, wann die Menschheit reif für den Marsflug ist.