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Der umstrittene Gentest aus der Apotheke

Der Hustenblocker Codein wird in der Leber zu Morphin umgewandelt. Bei zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung passiert das sehr schnell – lebensbedrohlich hohe Morphinspiegel im Blut sind möglich. In Österreich starb 2015 ein vierjähriges Kind an den Folgen – mittlerweile ist Codein für Kinder unter 12 Jahren verboten.

Unter anderem mit diesem Beispiel macht die Österreichische Apothekerkammer auf einen neuen Gentest aufmerksam, der in 250 der rund 1350 Apotheken angeboten wird: Die Genanalyse (um 515 Euro) soll Aussagen über die individuelle Wirksamkeit und Verträglichkeit von 280 Medikamenten-Wirkstoffen ermöglichen. "Arzneimittel wirken nicht bei allen Menschen gleich", sagte der deutsche Pharmazeut Theo Dingermann.

Laboranalyse mit Ampelsystem

Ein Schleimhautabstrich wird an die Firma Humatrix nach Deutschland geschickt. Sie untersucht, welche individuellen Variationen auf 31 Genen vorhanden sind, die eine Rolle bei der Verträglichkeit und Wirksamkeit eine Rolle spielen. Der Kunde bekommt dann in der Apotheke eine Laboranalyse übermittelt. Wirkstoffe, wo es theoretisch Probleme geben könnte, sind in drei Warnstufen (gelb, orange, rot) aufgeschlüsselt. Rot bedeutet: "Gefahr. Alternativmedikation oder starke Dosisanpassung dringend empfohlen."

Nichts zu Krankheiten

"Zwei Patienten, die gleich groß und gleich schwer sind, können unterschiedlich auf ein Medikament reagieren – ein Grund sind Unterschiede im Genom, im Erbmaterial", so Anna Eichhorn von Humatrix. Apothekerkammerpräsident Max Wellan betont, dass der Test keine individuellen Aussagen über Krankheitsrisiken ermöglicht: "Es geht nur darum: Wirkt ein Arzneistoff und gibt es eine Unverträglichkeit?"

"Die Grundlagen dieses Tests sind seriös und die Grundidee – sich vermehrt mit Pharmakogenetik (Einfluss der genetischen Ausstattung von Patienten auf die Wirkung von Arzneimitteln, Anm.) zu befassen, ist gut und wichtig, sagt Univ.-Prof. Ákos Heinemann, Vorstand des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der MedUni Graz. "Das gezielt im Anlassfall zu tun, ist aber vernünftiger als ein breiter Test. Warum soll man schon im Vorfeld testen? Hier besteht die Gefahr der Verunsicherung, dass Menschen aufgrund der Testergebnisse glauben, viele Medikamente wirken bei ihnen nicht." Für bestimmte Medikamente gebe es bereits Einzeltests. Und: "Die genetischen Varianten sind ja nicht der einzige entscheidende Faktor. Es existieren unterschiedliche Mechanismen im Körper, die eine Rolle bei der Wirksamkeit spielen."

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Zur Behandlungskontrolle könne vielfach auch die Wirkstoffkonzentration im Blut (Plasmaspiegel) ermittelt werden. Für die Behandlung mit Blutgerinnungshemmern etwa gebe es Gerinnungstests. Und zeigt eine Therapie keine ausreichende Wirkung, werde die Medikation angepasst. Derzeit gebe er keine pauschale Empfehlung für den Test ab, so Heinemann. Und zu Codein sagt er: "Hier bin ich generell skeptisch bei Kindern – Codein ist ein Opiat, mit dem ich mein Kind nicht behandeln möchte."

Dingermann hingegen glaubt, dass der Test Therapien effizienter macht: "Viele Patienten nehmen Arzneien wegen Nebenwirkungen nicht ordnungsgemäß ein. Man kann einem Bluthochdruckpatienten nicht verübeln, dass er ein Mittel absetzt, das ihn schwindlig oder müde macht."

Lohnt der Aufwand?

Mit Hilfe eines solchen Tests könnten jene Medikamente herausgesucht werden, die besser vertragen werden: "Bei chronischen Krankheiten kann der Einstieg in die individuelle Anpassung der Therapie viel rationaler erfolgen." Die Therapietreue könnte damit deutlich verbessert werden.

Doch Heinermann bleibt skeptisch : "Noch gibt es keine Daten, die beweisen, dass sich dieser Aufwand lohnt."

Neue Medikamente – besonders in der Krebstherapie – werden oft nur mehr mit einem Gentest speziell für dieses eine Medikament zugelassen: Dabei wird getestet, ob der Patient die genetische Grundlage dafür hat, dass er auf das Präparat überhaupt anspricht. Heinemann: "Das ist eine sehr sinnvolle Anwendung eines Gentests. Das ist gezielt – und dann, wenn man es wirklich braucht."

Privat zu zahlende Gentests sind nicht neu: So gibt es im Internet angebotene Tests mehrerer Anbieter, die u.a. auch das Risiko, bestimmte Krankheiten früher oder später zu entwickeln, aufzeigen. „Diese kostenpflichtigen Tests sind nicht ausreichend validiert, der Kosten-Nutzen-Faktor ist überhaupt nicht belegt“, sagt Univ.-Prof. Johannes Zschocke, Leiter der Sektion für Humangenetik der MedUni Innsbruck.

Dabei werden aus verschiedenen genetischen Varianten Wahrscheinlichkeiten berechnet. „Aber das ist reine Statistik, die tatsächliche Bedeutung für den Patienten ist nicht nachgewiesen. Und was bedeutet es für mich, wenn ich weiß, dass bereits mit 80 statt mit 95 Jahren mein Risiko, an Alzheimer zu erkranken, bei 50 Prozent liegt? Welche Handlungsempfehlungen kann ich daraus ableiten?“

Überdies könne es auch weitere genetische Varianten geben, die man heute noch nicht kenne und die deshalb noch nicht getestet werden. „Diese Tests haben keinen Eingang in die ärztliche Praxis gefunden, weil der Nutzen nicht erwiesen ist.“

Wo ein Nutzen besteht

Anders sei dies bei den Kassen-finanzierten Gentests für Krankheiten, die durch die Veränderung von nur einem Gen – etwa die Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 – ausgelöst werden: „Diese Tests für Erbkrankheiten sind sehr wichtig. In solchen Fällen kann das Krankheitsrisiko durch das Tragen einer speziellen Genvariante bei 100 Prozent liegen.“ Diese Tests dürfen nur in Kombination mit einer genetischen Beratung durchgeführt werden.