Blutegel: Wie Spitzenmedizin die uralte Therapie einsetzt
„Schauen Sie sich nur die schöne Maserung der Tiere an“, sagt Alexander Gregor, pharmazeutisch-kaufmännischer Assistent in der Krankenhausapotheke des AKH Wien. „Und wie sie sich bewegen – wie kleine Aale.“ Gregor fährt mit einer Spatel in die blauen, zu zwei Drittel mit Wasser gefüllten Tontöpfe, holt mehrere Blutegel heraus und lässt sie in einem Becken bei fließendem Wasser schwimmen: „Das ist wie eine Dusche für sie. Und ich bin ihr Bademeister.“ Alle zwei bis drei Tage werden die Ringelwürmer „geduscht“. „Ohne dieses frische Wasser überleben sie nicht.“ Das Wasser in den Töpfen muss wiederum besonders kalk- und mineralstoffarm sein: „Die Tiere sind äußerst empfindlich.“
Rund 10.000 Medikamentenpackungen gehen täglich von einer der größten Krankenhausapotheken Österreichs auf die Stationen. Und manchmal werden auch Blutegel ausgeliefert.
„Die moderne Spitzenmedizin unseres Universitätsspitals schließt nicht aus, dass alte, bewährte Therapiekonzepte weitergeführt werden“, sagt die Pharmazeutin und Apothekenleiterin Martina Anditsch.
Tierische Arznei
„Diese Blutegel sind tierische Fertigarzneimittel. Sie kommen aus einer Blutegelzucht in Deutschland, die eine spezielle Genehmigung nach dem Arzneimittelgesetz hat.“ Zwar ist es unmöglich, Blutegel steril zu züchten: „Aber diese sind durch die strengen Auflagen möglichst keim- und bakterienarm.“
Und das sei auch eine wesentliche Voraussetzung für ihren Einsatz: „Sie werden besonders auf der Plastischen Chirurgie eingesetzt, bei großen Wunden, die nur schwer heilen.“ Etwa bei der Wiederherstellung von durch Tumore verursachte Defekte im Kieferbereich.
„Ihr Speichel enthält entzündungshemmende Enzyme. Sie beschleunigen die Wundheilung.“ Gleichzeitig wirkt der Speichel auch blutgerinnend, unter anderem durch den Wirkstoff Hirudin. „Vereinfacht gesagt macht er das Blut dünnflüssiger. Blutergüsse heilen dadurch rascher ab, angestautes Blut kann abfließen. Das hat einen abschwellenden und schmerzlindernden Effekt.“ Das Anwachsen von Hauttransplantaten wird so durch eine ergänzende Blutegeltherapie unterstützt. „Ein weiteres Einsatzgebiet sind immer wieder auch bestimmte, sehr schmerzhafte entzündliche rheumatische Erkrankungen.
Zumeist werden pro Tag vier bis sieben Blutegel gleichzeitig bei einem Patienten angesetzt. Sie setzen sich mit ihren Saugnäpfen fest und „sägen“ sich mit ihren rund 200 bis 300 kleinen Zähnchen in die Haut – die Patienten spüren ein leichtes Kribbeln. Ein Egel saugt rund zehn bis 15 Milliliter Blut. „Nach 60 bis 90 Minuten sind sie vollgesogen und fallen ab.“ Danach werden sie in hochprozentigem Alkohol entsorgt. Eine Wiederverwendung ist aus hygienischen Gründen nicht möglich.
Vier bis sieben Mal im Jahr fordern Kliniken Blutegel von der Apotheke an. „Im Schnitt wird ihre Anwendung eine Woche lang täglich wiederholt, bei sehr schwer heilenden Wunden können es auch drei Wochen sein.“ Wichtig sei, dass so eine Blutegeltherapie nur unter ärztlicher Aufsicht stattfindet: „Blutverdünnende Medikamente etwa müssen vorher abgesetzt werden. Und um Infektionen zu vermeiden, werden begleitend Antibiotika verabreicht.“
Nach der Dusche kommen die Blutegel in der Apotheke zurück in die Tontöpfe. Anditsch: „Wenn man sie näher betrachtet sind es eigentlich sehr nette, aber vor allem sehr nützliche Tierchen.“