Aids-Forschung: Schlummernde HI-Viren aktiviert
Eine Heilung nach einer Infektion mit dem HI-Virus? Das wird noch dauern – so der Grundtenor auf der derzeit in Melbourne, Australien, stattfindenden Welt-Aids-Konferenz. Einer der Hauptgründe: Die Viren können sich in Reservoirs im Körper verstecken – und dort jahrelang unentdeckt verharren.
Doch jetzt ist es dänischen Forschern mit Hilfe eines Krebs-Medikaments gegen Lymphome (Krebserkrankung der Lymphdrüsen) gelungen, schlummernde HI-Viren aus Verstecken wie den Lymphknoten zu locken und sie damit den Attacken des Immunsystems auszusetzen – für viele Experten ein Durchbruch.
„Es ist ein bedeutendes Ergebnis“, so Studienleiter Ole Søgaard von der Uni Aarhus Dienstag auf der Konferenz: „Es ist aber nur einer von vielen Schritten in Richtung einer möglichen Heilung.“
Kick and Kill
Bei sechs HIV-Patienten waren zunächst dank ihrer routinemäßigen Therapie keine HI-Viren mehr im Blut nachweisbar. Nach der mehrfachen Verabreichung des Chemotherapeutikums kam es jedoch bei fünf von ihnen zu einem sprunghaften Anstieg der Virenmenge im Blut.
Dass mit diesem einen Medikament eine Heilung von Aids möglich ist, halten die Wissenschaftler für unrealistisch: Denn es tötet die Viren nicht, diese Aufgabe müssen das Immunsystem und andere Medikamente übernehmen. In einer weiteren Studienphase soll jetzt mithilfe eines speziellen Impfstoffes das Immunsystem so aktiviert werden, dass es die herausgelockten Viren auch bekämpfen kann. Deshalb wird das neue System auch „Kick and Kill“ genannt – rausschmeißen und abtöten.
Man hat derzeit aber noch keine Ahnung, ob die Viren aus allen ihren Verstecken herausgelockt werden. Dies betrifft vor allem die Reservoirs im Darm und im Gehirn. „Wir wissen nicht, ob wir ein Prozent dieser versteckten Zellen, fünf oder 50 Prozent erreicht haben“, so Søgaard: „Unsere Studie ist ein Schritt vorwärts – aber ob es nur ein kleiner Schritt oder ein großer Sprung ist, das ist offen.“
Wie groß das Problem dieser versteckten Viren-Reservoire ist, zeigte kürzlich auch das „Mississippi-Baby“: Das Kind einer HIV-positiven Mutter war nach einer 18-monatigen Behandlung, die fast unmittelbar nach der Geburt begann, 27 Monate lang virenfrei. Es galt als „funktionell geheilt“ – doch vor Kurzem wurden wieder Viren nachgewiesen.
Für Aids-Spezialist Steven Deeks von der Uni in Kalifornien ist die dänische Studie „das wichtigste Ergebnis“ der Konferenz: „Es dürfte enormen Einfluss auf die künftige Forschung haben.“
Wichtige Erkenntnis
„Das ist eine wichtige neue Erkenntnis“, sagt auch der Wiener Aids-Spezialist Prim. Norbert Vetter vom Otto-Wagner-Spital. Die Lymphknoten seien ein wichtiges Reservoir für die HI-Viren. „Es erscheint sehr plausibel, dass man mit einem Medikament, das genau auf die Lymphknoten abzielt, dieses Reservoir leeren kann.“ Ob es damit dann gelinge, andere Verstecke zu leeren, sei allerdings fraglich. „Aber man wird jetzt versuchen, auch für diese Reservoire in anderen Organen spezifisch wirksame Medikamente zu finden.“
Es gebe Rechenmodelle, wonach möglicherweise auch nach 20 Jahren konventioneller Therapie die Reservoire geleert sind. „Wenn das schon vorzeitig gelingen sollte, wäre das ein enormer Fortschritt. Die große Linie der künftigen Forschung ist jedenfalls klar.“ Denn es gehe bei der HIV-Therapie heute nicht mehr um die Frage, wie man eine gleich lange Lebenserwartung wie bei Nicht-Infizierten erreicht, so Vetter: „Da gibt es im Wesentlichen keinen Unterschied mehr. Die wichtigste Frage heute ist: Wie kommt es zur Heilung?“
Lesen Sie mehr über die Mythen zur HIV-Ausbreitung.