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12-Stunden-Arbeitstag: Über eine Million ausgebrannt

Ein grauer Nachmittag im Rudolfinerhaus in Wien-Döbling. Ein freundlicher Portier weist den Weg in die Neurologische Abteilung. Dort, in einem Nebentrakt der schmucken Privatklinik, befindet sich seit wenigen Wochen auch eine eigene Burn-out-Ambulanz.

Ins Leben gerufen hat sie Professor Michael Musalek, ein erfahrener Wiener Psychiater, der unter anderem das Anton-Proksch-Institut in Kalksburg leitet und der die derzeit heftig diskutierte Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages für keine hilfreiche Idee hält.

Hoher Leidensdruck

"Burn-out ist eine Volkskrankheit", eröffnet Musalek. Laut einer aktuellen Studie, die im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführt wurde, leiden aktuell mehr als 600.000 Österreicher unter einem schweren Burn-out. Weitere 1,36 Millionen sind akut, noch einmal so viele sind leicht gefährdet.

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Der anerkannte Suchtforscher will mit seinem Pilotprojekt im Rudolfinerhaus Abhilfe schaffen. Er wurde in seiner täglichen Arbeit mit Suchtkranken in Kalksburg auf die Problematik aufmerksam: "Neunzig Prozent der Burn-out-Patienten sind arbeitssüchtig und haben auch noch das eine oder andere Suchtproblem."

Ihr Leidensdruck muss in der Tat riesig sein. Musalek hat in der neu geschaffenen Einrichtung bereits eine ganze Reihe von Betroffenen gebeten, Platz zu nehmen: Arztkollegen ebenso wie Lehrer, Kreative, Manager aus der mittleren Führungsebene, Politiker, auch leitende Beamte aus Ministerien und Landesverwaltungen.

"Keiner von ihnen redet gerne über seine Krankheit", weiß der Mediziner aus zahlreichen Behandlungen. Der Grund dafür: Burn-out ist weiter mit Vorurteilen und teils unsachlichen Diagnosen behaftet, was eine Therapie nicht gerade erleichtert.

Bei vielen seiner Patienten kann Musalek ähnliche Muster erkennen: "Das sind – anders als oft gesagt wird – keine Menschen, die nicht arbeiten wollen." Ganz im Gegenteil: "Aufgrund ihres oft hehren Berufsethos geraten sie an ihrem Arbeitsplatz in einen Rollenkonflikt."

Nehmen wir zum Beispiel ältere, gut ausgebildete Poliere auf österreichischen Baustellen: Sie haben zu Beginn ihres Berufslebens gelernt, Aufträge maximal professionell auszuführen. Aufgrund des zunehmend scharfen Wettbewerbs in der Baubranche sind sie unter enormen Druck geraten: Ihre Bauprojekte müssen in immer kürzeren Intervallen abgeschlossen werden, doch dafür stehen ihnen aufgrund des Billigstbieter-Prinzips immer schlechter ausgebildete Bauarbeiter zur Verfügung. Die modernen Leiden der Poliere beschäftigen übrigens auch das Arbeitsinspektorat.

"Dass der eine oder andere zu Medikamenten greift, die in Österreich leicht verfügbar sind, ist da kein Wunder." Erklärt Michael Musalek. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er mit leicht verfügbaren Medikamenten den Alkohol meint.

Wichtig ist dem Experten auch der Hinweis, dass die ausgebrannten Poliere ebenso wie die Menschen, die zu ihm ins Rudolfinerhaus kommen, nicht alleine verantwortlich sind: "Es ist nicht nur die Krankheit des Arbeitnehmers, sie geht auch seinen Arbeitgeber an."

Das Gemeine an der psychisch bedingten Krankheit ist ihr schleichender Verlauf (siehe die drei Stadien rechts). Ein erstes Symptom ist bereits in einem frühen Stadium auszumachen. Michael Musalek spricht von "einer reduzierten Reizschwelle".

Selten sind die Betroffenen demnach bösartig. Ihr schnelles Aufbrausen ist mehr als Indiz für ihre Hilflosigkeit zu sehen. Der Arzt nennt dazu eine Zahl: "98 Prozent der Menschen, die in der Arbeit aggressiv sind, sind ganz einfach überlastet."

Bereits im Stadium zwei sind gesundheitliche Beeinträchtigungen wie innere Unruhe, Schlafstörungen, Herzrasen oder Schwindelzustände zu erkennen, betont Burn-out-Experte Musalek.

Ein erster Schritt

Das Behandlungszimmer für Burn-out-Patienten hat man daher mit Bedacht in der Neurologischen Abteilung in der privaten Klinik angesiedelt. Dazu der Initiator: "Die Beschwerden bei einem schweren Burn-out sind nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Hier in der Abteilung können Patienten umfassend therapiert werden."

Von einer Burn-out-Ambulanz für alle, die betroffen sind, ist man im Döblinger Rudolfinerhaus noch ein ganzes Stück entfernt. Das weiß auch der Professor. Zum einen ist er im Moment eine One-Man-Show an nur einem Nachmittag pro Woche, und zum anderen kann er die Patienten hier nicht auf Krankenschein behandeln.

Musalek spricht jedoch von einem ersten Schritt, einer Kooperatin mit einem Krankenhaus. Über eine Ausweitung des Angebots müssten sich Gesetzgeber und Sozialversicherungsanstalten nicht zuletzt in Anbetracht der Folgekosten für die Volkswirtschaft ernsthaft Gedanken machen.

Voranmeldung ist in der Burn-out-Ambulanz erforderlich: www.rudolfinerhaus.at bzw. c.kraft@rudolfinerhaus.at bzw. telefonisch unter 01 / 360 36 – 6412.

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