Wirtschaftsnobelpreis geht an Gender-Pay-Gap-Forscherin
Von Anita Staudacher
Die 77-jährige US-Ökonomin Claudia Goldin erhält heuer den Wirtschaftsnobelpreis. Die Ökonomin an der Harvard University forscht vor allem zum Thema Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Sie ist nach Elinor Ostrom (2009) und Esther Duflo (2019, gemeinsam mit zwei US-Forschern) erst die dritte Frau, die diese Auszeichnung erhält. Insgesamt wurden seit 1969 mehr als 90 Menschen mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Goldin war 1990 die erste Frau, die am Harvard Economics Department eine unbefristete Professur erhielt.
Warum Frauen weniger verdienen als Männer
Die Volkswirtin erhält den prestigeträchtigen Preis für die „Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt“, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Montag in Stockholm mitteilte. Ihr Arbeit sei "die erste umfassende Darstellung des Verdienstes und der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen über die Jahrhunderte hinweg".
Sie habe unter anderem gezeigt, dass die Beschäftigung von Frauen am US-Arbeitsmarkt nicht automatisch mit wirtschaftlichem Aufschwung mit gestiegen ist. Auch seien Frauenlöhne nicht kontinuierlich gestiegen. Für ihre Untersuchungen habe sie den Arbeitsmarkt über 200 Jahre berücksichtigt, hieß es in der Begründung. Im Mittelpunkt ihrer Analysen und Erklärungsmodelle steht die Tatsache, dass die Wahlmöglichkeiten von Frauen häufig durch die Ehe und die Verantwortung für Haushalt und Familie eingeschränkt waren und sind.
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Ungleichheit im Laufe von 200 Jahren
Der breiteren Öffentlichkeit bekannt ist die Harvard-Ökonomin Goldin für ihr Standardwerk "Career and Family". Darin zeichnet sie wie von der Akademie erwähnt über einen Zeitraum von 200 Jahren die Geschichte von Männern und Frauen am US-Arbeitsmarkt nach und analysiert, warum Frauen immer noch weniger verdienen als Männer und seltener Karriere machen.
Was die Arbeitszeit mit der Gehaltslücke zu tun hat
Goldin weist etwa nach, dass die Gründe für den Einkommensunterschied nicht nur die Berufswahl und der Teilzeitfaktor sind. Selbst im gleichen Beruf und der gleichen Stellung im Unternehmen verdienen Frauen immer noch weniger, wie Studien zeigen.
In einem Interview mit der FAZ verwies sie im Vorjahr auf eine Erhebung der Universität Chicago. Demnach genügen bereits geringe Unterschiede bei den Arbeitszeiten und der Berufserfahrung für ungleiche Bezahlung. „ Frauen wurden dafür bestraft, dass sie 52 statt 62 Stunden pro Woche arbeiteten und dass sie neun Monate Elternzeit nahmen statt einen Monat“, sagte Goldin im FAZ-Interview.
Die Crux mit den "gierigen Jobs"
Goldin spricht in diesem Zusammenhang von „gierigen Jobs“. Sie meint damit Jobs, bei denen man unverhältnismäßig mehr Geld bekommt, wenn man viele Stunden arbeitet, wenn man sich bereit erklärt, jederzeit angerufen zu werden oder lange Reisen zu unternehmen. Wer Betreuungspflichten habe, könne gar nicht so lange arbeiten.
Die Ökonomin stellt in dem FAZ-Interview generell den Begriff „Frauenberufe“ infrage und spricht von „altmodischen Traditionen und Normen, die wir aus der Vergangenheit übernommen haben. Die sind nicht grundsätzlich in der Biologie verankert, sondern werden in hohem Maße gesellschaftlich vererbt.“
Ulrike Famira-Mühlberger vom Wifo sieht die Auszeichnung als "sehr gute Entscheidung und Anerkennung von Ökonominnen im Bereich der Volkswirtschaft". Goldin habe einen wirtschaftshistorischen Blick, so Famira-Mühlberger zur APA.
Überstunden und Wochenendarbeit zementiert Ungleichheit
Als einen Punkt hob die Wifo-Forscherin die Erkenntnis Goldins hervor, dass die besonders gute Bezahlung von jenen Jobs, die mit vielen Überstunden und Wochenendarbeit verbunden sind, die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen - die immer noch die Familie managen müssen - zementiere.
Auch wenn sie an US-Zahlen erforscht wurden, gelten die Ergebnisse "zum allergrößten Teil" auch für Österreich, sagt Famira-Mühlberger. Man könne sogar sagen, dass die von Goldin erforschten Themen in Österreich "noch drastischer" seien als in den USA, weil der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen größer, Teilzeit unter Frauen weiter verbreitet seien.
IHS-Chef Bonin: "Herausragende Ökonomin"
Für IHS-Chef Holger Bonin, ist Goldin, die er auch persönlich kenne, "zweifellos eine ganz herausragende Ökonomin. Für sie ist das Schreiben über Genderthemen keine politische, sondern eine akademische Entscheidung. Frauen sind für sie als Untersuchungsgegenstand interessanter als Männer, weil sich ihre soziale und wirtschaftliche Rolle über Generationen hinweg viel stärker verändert hat." Als Wirtschaftshistorikerin "interpretiert Goldin das Heute durch die Brille der Vergangenheit und arbeitet so die tieferen Ursachen aktueller Problemlagen auch statistisch präzise heraus", heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage der APA.
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Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht. Er wird seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit streng genommen nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Der Preis ist mit umgerechnet 950.000 Euro dotiert.
Im vergangenen Jahr waren der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke und die ebenfalls amerikanischen Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet worden. Sie wurden damit für ihre Erforschung von Banken und Finanzkrisen geehrt.