Wirecard: Der unsichtbare Milliardenkonzern
Von Anita Staudacher
Wirecard? Nie gehört? Der in der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannte Zahlungsabwickler sorgt am Montag für eine Zeitenwende an der Frankfurter Börse. Wirecard zieht in die oberste Börseliga DAX ein und wirft dort die altehrwürdige Commerzbank hinaus. Optimisten werten das als Signal für den Wandel von der alten zur neuen Bankenwelt. Skeptiker sprechen von einem völlig überhypten Spekulationstitel. Wachstumsfantasien trieben den Aktienkurs in den vergangenen Jahren in schwindelnde Höhe (siehe Grafik). An der Börse ist Wirecard mit fast 24 Milliarden Euro schon mehr wert als die Deutsche Bank.
Warum das seit 2002 vom Wiener Markus Braun geleitete Unternehmen mit Sitz in Aschheim bei München dennoch ein Schattendasein führt, hängt mit dem Geschäft zusammen: Es ist unsichtbar, weil voll digitalisiert. Anders als der Name vermuten lässt, gibt Wirecard keine Plastikkarten aus, sondern agiert als Bindeglied zwischen Verkäufer, Käufer und Banken im unbaren Zahlungsverkehr. Anders formuliert: Wirecard sorgt dafür, dass beim Online-Einkauf das Geld des Konsumenten auch tatsächlich in der Kasse des Händlers landet. Und bürgt auch dafür. Klingt simpel, ist aber wegen unterschiedlichster Betriebs- und Zahlungssysteme sowie Währungen technisch komplex.
Bankservices
Für die Geld-Transaktionen verlangt Wirecard Gebühren. Seit 2005 eine Banklizenz gelöst wurde, weitete Wirecard sein Angebot auf immer mehr Bereiche des Zahlungsverkehrs aus und kaufte fleißig Technologie-Firmen zu. Heute stellt Wirecard die gesamte Infrastruktur inklusive Lizenzen für Kartenprodukte bereit. Bald sollen Kleinkredite für Firmenkunden hinzukommen.
Global statt regional
„Wir sind ein Technologieunternehmen und unterstützen Unternehmen in allen Bereichen der elektronischen Zahlungsabwicklung und -akzeptanz“, fasst Roland Toch, Österreich-Chef von Wirecard, die Strategie zusammen. Früher seien die Banken sehr lokal ausgerichtet gewesen, Wirecard hingegen setzte von Anfang an auf internationale Zahlungsmittel. Weil weltweit noch immer das Bargeld dominiert und erst zehn Prozent aller Zahlungen digital erfolgen, ist das Wachstumspotenzial groß. Neue Märkte sieht Toch in der E-Mobilität, etwa bei der Zahlung und Abrechnung an Stromtankstellen.
Österreich zählt neben Deutschland, Großbritannien, Irland und Rumänien zu den europäischen Kernmärkten von Wirecard. Von hier aus werden elf Länder in der Region Zentral- und Osteuropa gelenkt. Wie viele Mitarbeiter in Österreich beschäftigt sind, vermag Toch nicht zu beziffern. „Wir arbeiten sehr vernetzt und global ausgerichtet“. In ganz Europa arbeiten etwa zwölf Prozent aller Mitarbeiter. Als Referenzkunden nennt er die XXXLutz-Gruppe, Win2Day und das Österreichische Verkehrsbüro. Auch A1 und die Post sind Kunden von Wirecard. Mit vielen Kunden gebe es langjährige Geschäftsbeziehungen, betont Toch. Umsatzzahlen zu Österreich werden nicht genannt.
Undurchsichtig
Die Bilanz der FinTech-Gruppe ist selbst für Experten nur schwer zu durchschauen. Schon öfter tauchten Vorwürfe von finanziellen Unregelmäßigkeiten oder Scheinumsätzen auf, die von Wirecard stets zurückgewiesen wurden. Darauf angesprochen garantierte CEO Braun zuletzt in einem Spiegel-Interview, dass das Unternehmen sauber sei. In den Anfängen verdiente Wirecard sein Geld vor allem als Zahlungsabwickler für Erotik- und Glücksspiel-Seiten im Web. Heute spiele dieser Bereich nur noch eine untergeordnete Rolle, heißt es.
„Viele große Fragezeichen“ ortet auch Kleinanlegervertreter Wilhelm Rasinger und verweist darauf, dass 80 Prozent des Wirecard-Eigenkapitals immaterielle Vermögenswerte seien. Außerdem sei der FinTech-Sektor noch wenig reguliert, was sich rasch ändern könne. „Im Kurs ist sehr viel Zukunftsglauben eingepreist. Ich rate zur Vorsicht.“