Wirtschaft

Welthandel in der Krise - Fragen und Antworten

Zwischen Russland und dem Westen droht ein Handelskrieg zu eskalieren. Die Welthandelsorganisation (WTO) versinkt in der Bedeutungslosigkeit. Gegen Handelsabkommen wie TTIP und TISA formiert sich Widerstand. Der Welthandel steckt in der schwierigsten Situation seit vielen Jahren. Ist das schlecht oder vielleicht sogar gut? Daran scheiden sich die Geister. Der KURIER sucht Antworten.

Wofür braucht es eigentlich Handelsabkommen?
Früher ging es darum, die Zolltarife zu senken. Das verliert zusehends an Bedeutung. Stattdessen sollen die Abkommen für fairen Wettbewerb zwischen den Handelspartnern sorgen. Darunter versteht freilich jeder etwas anderes: Was für einen Staat legitim ist, um Dumpingpreise zu verhindern oder die Bevölkerung vor schlechten Produkten zu schützen, ist für den anderen pure Schikane. Deshalb braucht es Regeln. Die Idee: Jene Vorteile, die ein Land den eigenen oder anderen Unternehmen schon einräumt, sollten für alle gelten.

Was ist schlecht, wenn die Märkte geöffnet werden?
Globalisierungskritiker, Umweltorganisationen und Gewerkschaften sehen Freihandelsabkommen generell kritisch. Ihr Argument: So wirklich nützt die Liberalisierung nur Großkonzernen. Dafür führt der globale Wettstreit zu Jobabbau, er bringt die Löhne unter Druck und untergräbt Umwelt- und Sozialstandards. Zugleich verdränge der Ramsch aus Billiglohnländern regionale Waren. Und: Der Handlungsspielraum von Regierungen gegenüber Wirtschaftslobbys wird eingeschränkt.

Was spricht dann für den freien Handel?
Befürworter offener Märkte haben eine konträre Sichtweise: Sie sehen den verschärften Wettbewerb als eine Art Fitnesskur für Unternehmen. Nur so könnten Arbeitsplätze auf Dauer abgesichert werden. Eine kleine, offene Volkswirtschaft wie Österreich könne zudem nur gedeihen, wenn sie Märkte im Ausland erschließt. Die Exporterfolge heimischer Unternehmen sicherten den Wohlstand im Land ab.

Warum schwirren derzeit so viele Namen für Handelsabkommen herum?
Ein Grund ist, dass die Welthandelsorganisation (WTO) in zwanzig Jahren kein Regelwerk zustande gebracht hat, das für alle 159 Mitgliedstaaten gilt. Deshalb verhandeln einzelne Länder und Ländergruppen nun untereinander – das sind die Abkommen mit den ominösen Kürzeln wie TTIP, CETA, TISA oder TPP (siehe unten).

Sind die Verhandlungen tatsächlich geheim?
Jein. Dass verhandelt wird und worüber, ist in groben Zügen bekannt. Die Dokumente selbst sind aber tatsächlich unter Verschluss. Beispiel TISA: Wikileaks hat im Juni 2014 einen Entwurf für den Finanzbereich veröffentlicht, auf dem ein Sperrvermerk steht, der noch fünf Jahre nach dem Abschluss des Abkommens gilt. Die Verhandler wollen nicht, dass ihre Taktik offengelegt wird: Sie könnten am Ende als Verlierer dastehen. Somit reden sie zwar viel – sie sagen dabei aber herzlich wenig.

Wer profitiert von den Abkommen – nur Großkonzerne oder auch Mittelständler?
Handelserleichterungen bringen Vorteile für multinationale Konzerne, das liegt auf der Hand. Dass Lobbyisten versuchen, bei dieser Gelegenheit Verbote auszuhebeln – etwa die Zulassung von Chemikalien, von Fracking oder Genmanipulation zu erwirken – ist kein großes Geheimnis. Ob sie Erfolg haben, lässt sich schwer beurteilen, solange die Verträge geheim sind. Die EU betont, die vielen Klein- und Mittelunternehmen würden besonders profitieren: Anders als Großkonzerne könnten sie sich den bürokratischen Aufwand, den Exporte derzeit verursachen, oft nicht leisten.

Und was haben die Konsumenten davon?
Hängt ganz davon ab, wem man Glauben schenkt: Billigere Produkte und eine größere Auswahl, sagen die Befürworter. Schlechte Qualität und fragwürdig produzierte Waren (Stichwort Chlorhuhn und Genmais) befürchten die Kritiker. Die EU-Verhandler betonen gebetsmühlenartig, dass die Standards nicht gesenkt würden.

Was bringt das Dienstleistungsabkommen TISA?
Es geht um den grenzüberschreitenden Handel von Dienstleistungen – etwa wenn ein österreichischer Anwalt Klienten in Kanada vertreten will. Für ihn sollten dieselben Konditionen gelten wie für kanadische Kollegen.

Droht mit TISA der Ausverkauf unseres Wassers?
Jedes Land legt selbst fest, welche Bereiche ausgenommen sind. Die EU hat inzwischen veröffentlicht, was sie zum Start der TISA-Verhandlungen im November 2013 auf den Tisch gelegt hat. Darin steht, dass sich die EU das Recht ihrer Mitgliedstaaten vorbehält, die Versorgung der Haushalte und der Industrie mit Wasser selbst zu regeln. Öffentliche Gesundheit, soziale Dienstleistungen und staatlich finanzierte Bildung klammert die EU ebenso aus.

Ist die Angst vor Privatisierungen unbegründet?
Nicht ganz. Die Verhandlungsangebote sind schließlich nicht in Stein gemeißelt. Und TISA sieht vor, dass alle Bereiche, die nicht ausdrücklich auf der „Negativliste“ stehen, offen für ausländische Anbieter sind. Zudem soll es kein Zurück mehr geben: Bereiche, die einmal liberalisiert sind, müssen es bleiben. Eine Re-Verstaatlichung privatisierter Firmen wäre nicht mehr möglich – außer bei Banken, wenn sonst Finanzkrisen drohen würden . . .

Schon abgeschlossen sind seit 5. August 2014 die Verhandlungen über CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das EU-Abkommen mit Kanada. CETA gilt als Blaupause für TTIP, der 1600-seitige Vertragstext war lange unter Verschluss, wurde dann an die Öffentlichkeit gespielt. Seit dem EU-Kanada-Gipfel im September 2014, der den Abschluss der Verhandlungen markierte, ist der Text für jedermann zugänglich (aber außer für Insider wohl für kaum jemanden verständlich...)

TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership): Nach zahllosen gescheiterten Anläufen verhandeln die zwei größten Wirtschaftsblöcke EU und USA seit 2013 erneut über ein Freihandelsabkommen. Nach dem Willen von Brüssel soll die Marktöffnung das ambitionierteste EU-Abkommen – jenes mit Südkorea von 2010 – übertreffen.

23 Staaten und Ländergruppen verhandeln seit 2012 in Genf über TISA (Trade in Services Agreement). Angeführt wird die Gruppe mit dem skurrilen Namen „wirklich gute Freunde (des Handels)“ von den USA und der EU. Die TISA–Vereinbarungen sollen so breit angelegt sein, dass sich möglichst viele unter dene 159 Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) anschließen.

Die WTO selbst steckt nämlich in einer tiefen Sinnkrise. Sie hat in zwanzig Jahren ihres Bestehens – seit dem GATS (General Agreement on Trade in Services) und der „Uruguay-Runde“ von WTO-Vorläufer GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) im Jahr 1995 – nicht viel weitergebracht. Der Vorteil von sogenannten multilateralen Vereinbarungen (also unter allen WTO-Mitgliedern) wäre, dass sie gleiche und somit faire Voraussetzungen für alle schaffen. Sie stellen gewissermaßen einen Mindeststandard von Handelsregeln dar, der für alle verbindlich ist.

Oder besser gesagt, wäre. Denn die Verhandlungen zur sogenannten „Doha-Runde“ gelten als gescheitert (die Abkommen sind nach den Städten/Orten, wo der Auftakt stattfand, benannt). Doha war als ganz großer Wurf gedacht. Selbst das viel, viel bescheidenere „Bali-Abkommen“, das nur den Handel mit den Schwellenländern regeln wollte, hängt in der Luft. Es war seit Dezember 2013 fix ausverhandelt. Kurz vor Ablauf der Ratifizierungsfrist am 31. Juli 2014 brachte es Indien aber noch zu Fall. Und zwar, weil das riesige Schwellenland keine Zugeständnisse bei seinen Lebensmittelvorräten machen wollte. Jetzt scheinen sich die USA und Indien in diesem heiklen Punkt doch noch geeinigt zu haben - es soll einen neuen Anlauf für „Bali" geben.

TPP (Trans-Pacific Partnership): Die USA verhandeln nicht nur mit der EU ein Freihandelsabkommen, sondern seit 2005 auch mit elf Pazifikstaaten, darunter Australien, Japan, Chile, Malaysien und Kanada. China und Südkorea haben nur vages Interesse bekundet. US-Präsident Obama sieht TPP als Leuchtturmprojekt seiner Amtszeit.