Wirtschaft

Was einen Mexikaner beim "Brexit" in Rage bringt

Wenn José Ángel Gurría Treviño in Fahrt gerät, dann so richtig: Wilde Gesten durchschneiden den Raum, die Augenbrauen setzen Ausrufezeichen hinter jedes Wort. Ein Ereignis. Zu beobachten am Freitag in Paris, wo der Reiche-Staaten-Klub OECD, deren Generalsekretär Gurría seit 2006 ist, den Wirtschaftsbericht zu Europa vorlegte.

An sich fade Routine. Bis eine Frage zum "Brexit" gestellt wurde – am 23. Juni stimmen die Briten ab, ob sie in der EU bleiben oder austreten. Vorbei war es mit der Zurückhaltung.

Warum entwickelt ein Mexikaner so viel Leidenschaft für EU-Fragen? "Wir haben eine Verantwortung für künftige Generationen", wetterte Gurría. Er spreche da als Vater eines britischen Staatsbürgers mit britischer Ehefrau, die zwei britische Kinder haben.

Die jungen Briten wollten weiterhin eine Zukunft in der EU haben. "Es ist leicht, Emotionen zu schüren und Menschen in die Irre zu führen. Schwieriger ist es, Fakten sprechen zu lassen. Die Brexit-Befürworter bleiben diese schuldig."

Mythos Überregulierung

Und was ist mit dem Vorwurf der EU-Gegner, Großbritannien werde von Brüssel mit Regeln erwürgt? "Es ist falsch! Die Briten sind eine der am wenigsten und am flexibelsten regulierten Nationen, trotz EU. Das ist kein bloßes Gefühl, wir messen das. Mit einem EU-Austritt ist da nicht viel zu holen." Gurrías Appell an die Briten: "Bleibt in der EU, das ist für beide Seiten das Beste. Wir haben ohnehin genug Unsicherheit."

Die OECD erwartet, dass die britische Wirtschaftsleistung nach einem EU-Austritt im Jahr 2020 um 3,2 Prozent und jene der EU um 0,9 Prozent niedriger wäre als bei einem Verbleib. Die negativen Folgen seien für die Briten schon jetzt vor dem Referendum spürbar, weil Investitionen ausbleiben und sich das Wachstum abschwächt.

Populisten-Vormarsch

Emotional reagierte Gurría auch auf die Frage nach dem Aufstieg populistischer Parteien. "Wir haben kaum Wachstum zustande gebracht, keine Jobs geschaffen, dafür Ungleichheit erzeugt. In vielen Ländern grassiert Korruption. Große Multis zahlen kaum Steuern und die Reichen ziehen in Steueroasen ab. Warum sind wir da eigentlich überrascht, wenn die Menschen frustriert sind?"