VW-Skandal: Jetzt können auch die Anleihegläubiger klagen
Im Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Autos des deutschen VW-Konzerns können jetzt auch die Anleihegläubiger ohne Kostenrisiko klagen. Ein großer britischer Prozessfinanzierer hat grünes Licht für eine Klagsaktion gegeben, die die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und mehrere Anwaltskanzleien - darunter eine aus Wien - am Donnerstag in Deutschland vorgestellt haben. Der Schaden könnte den Juristen zufolge bis zu 10 Mrd. Euro betragen.
Die Aktion richtet sich vor allem an institutionelle Investoren, etwa Fonds, wie der Wiener Anwalt Eric Breiteneder bei einer Online-Pressekonferenz erläuterte. Für die Betroffenen sei viel Geld zu holen - bis zu 15 Prozent des investierten Kapitals.
Der Vorwurf der Anwälte: Die VW-Verantwortlichen hätten den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig über die illegal in Dieselfahrzeuge eingebaute Software zur Manipulation der Abgaswerte informiert. "Wenn dieses Risiko bekannt gewesen wäre, hätte VW deutlich höhere Zinsen zahlen müssen", so DSW-Vizepräsident und Anwalt Klaus Nieding. "Wir haben hierzu ein Sachverständigengutachten eingeholt." Demzufolge hätte der Zinssatz bei einzelnen Anleihen um 50 bis 100 Prozent höher sein müssen, es wären statt zwei Prozent vier oder sogar fünf Prozent fällig gewesen.
Laut Breiteneder geht es um 532 Anleihen und ein Investitionsvolumen von 60 bis 70 Mrd. Euro. Daraus errechne sich ein Schaden von etwa 10 Mrd. Euro.
Die DSW und die Anwaltskanzleien aus Österreich, Deutschland den Niederlanden arbeiten bei ihrer Aktion mit der Stichting Volkswagen Investors Claim, eine Stiftung nach niederländischem Recht, zusammen. Die Stiftung vertritt nach eigenen Angaben Aktionäre und Anleger der Volkswagen AG aus 26 Ländern, es geht um ein Investitionsvolumen von rund 13 Mrd. Euro. "Unsere Stiftung wird die Entschädigungsansprüche der Anleihegläubiger nun ebenfalls in ihre Suche nach Gerechtigkeit einbeziehen", so Stiftungsvorstand Henning Wegener.
Wegener strebt aber nach wie vor eine außergerichtliche Lösung an. Der Dieselskandal sei noch nicht abgeschlossen, betonte er. "Es geht hier nicht nur um finanzielle Ansprüche, sondern um die Glaubwürdigkeit eines Vorzeigeunternehmens und um den Wirtschaftsstandort Deutschland."
Sollte es weiter zu keiner außergerichtlichen Einigung kommen, werde man zu Gericht gehen, stellte Nieding klar. Die entsprechende Frist laufe bis Ende 2020, den Anwälten steht also womöglich ein arbeitsintensiver Dezember bevor. "Wir reden von Lkw-Ladungen an Klagen, die wir zu Gericht bringen müssen", sagte Breiteneder.
Schadenersatzberechtigt sind laut den Rechtsvertretern Anleger, die zwischen 1. Jänner 2011 und dem jeweiligen Laufzeitende Anleihen gekauft haben, die die Volkswagen AG oder VW-Töchter vor dem Auffliegen des Dieselskandals am 22. September 2015 emittiert haben. Von Donnerstag, 15. Oktober 2020, bis 30. November können sich Betroffene auf der Stiftungswebsite registrieren (https://www.stichtingvolkswageninvestorsclaim.com/).
Für Aktionäre von Volkswagen sind die Anwälte bereits zu Gericht gegangen, diese Klagen mussten wegen der dreijährigen Verjährungsfrist bis Ende 2018 eingebracht werden. Bei den Anleihegläubigern gilt Nieding zufolge eine Frist von zehn Jahren. Warum die Aktion erst jetzt kommt? Das liege an dem BGH-Urteil, das am 25. Mai 2020 ergangen ist. "Das war der letzte Baustein, den wir gebraucht haben." Der Deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat festgestellt, dass der Einsatz illegaler Abgastechnik sittenwidrig war und den Autokäufern dadurch ein Schaden entstand.
Dass der angloamerikanischen Prozessfinanzierer Vannin Capital PCC grünes Licht für die Klagsaktion gegeben hat, sage schon einiges, warb Nieding. Wer sich an der Aktion beteiligen will, zahlt nichts, dafür bekommt der Finanzierer im Erfolgsfall einen Anteil der erstrittenen Summe.
Laut Breiteneder sind die Anleihegläubiger nach wie vor einem Risiko ausgesetzt, da nämlich VW fünf Jahre nach Bekanntwerden des Skandals lediglich mit amerikanischen Fahrzeughaltern einen Vergleich geschlossen und deutschen Fahrzeughaltern einen kleinen Betrag gezahlt habe. "Hier schleppt VW ein Risiko mit, das den Anleihegläubigern, die nach wie vor investiert sind, auf den Kopf fallen kann." Nieding sprach von einer "Belastung von 30 Mrd. Euro aus den gesamten Umständen des Dieselskandals".