Wirtschaft

Vorsorgen für den drohenden Chaos-Brexit: "Die Uhr tickt"

Klingt skurril: Sollte es keine rechtzeitige Einigung über einen geregelten EU-Austritt geben, könnten die Briten ab April 2019 "Tiroler Speck", "Steirisches Kürbiskernöl" oder "Marchfelder Spargel" verkaufen. Die geschützte Herkunftsbezeichnung, die innerhalb des EU-Rechts geregelt ist, wäre schlagartig hinfällig.

Nur eines von vielen Problemfeldern, die ein "No-deal-Brexit" mit sich bringen würde.

„Die Uhr tickt für unsere Unternehmen“, warnte deshalb Mariana Kühnel, Vize-Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich, am Mittwoch. Nur noch 65 Tage bleiben, um sich auf einen drohenden No-deal-Brexit vorzubereiten.

Rund 500 österreichische Unternehmen seien stark betroffen – die Hälfte davon, weil sie Auslandstöchter im Vereinigten Königreich hat, die andere, weil sie große Exportzahlen in Richtung britische Insel aufweist. Tausende weitere heimische Firmen wären „anlassbezogen“, mit vergleichsweise geringeren Volumina, betroffen, so Kühnel.

Es trifft die Kleinen

Während die großen, international aufgestellten Konzerne mit eigenen Rechts-, Steuer- und Zollabteilungen gut gerüstet seien, würde ein harter Brexit vor allem kleine, mittlere Betriebe und Einzelunternehmer unvorbereitet treffen, fürchtet die Wirtschaftskammer.

Sie hat deshalb ab sofort ein Infoservice für Betriebe eingerichtet:


    • Unter der Webseite wko.at/brexit gibt es unter anderem Checklisten
    • Einen telefonischen BrexitInfopoint unter 05 90 900 – 55 90. Dieser ist von Montag bis Donnerstag, 8 bis 16.30 Uhr und Freitag von 8 bis 16 Uhr erreichbar
    • Roadshows mit dem Finanzministerium und Zollämtern in ganz Österreich. Termine ebenfalls unter wko.at/brexit
    • Persönliche Informationsgespräche
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    Maschinen, Anlagen, Autos

    Am stärksten betroffen wäre von einem harten Brexit der Sektor Maschinen und Fahrzeuge, auf den ungefähr die Hälfte der heimischen Exporte entfällt. Daneben gibt es auch bei verarbeiteten Waren (etwa Verpackungen) und Lebensmitteln Sorgenfalten.

    Bei Warenexporten ist das Vereinigte Königreich der neungrößte Exportmarkt, bei Dienstleistung allerdings sogar unter den Top fünf.

    Nicht alle Schwierigkeiten sind jetzt schon absehbar. Einige kritische Felder haben sich aber bereits herauskristallisiert. Wo sind nun konkret welche Probleme zu erwarten?

    Zölle

    Im Falle eins No-deal-Brexit müssten die Briten eigene, WTO-konforme Zolltarife festsetzen. Informell ist zu hören, dass die EU-Außenzölle zunächst einmal spiegelbildlich angewendet würden.

    Damit würden die Tarife für Einfuhren auf die britische Insel je nach Warengruppe voraussichtlich zwischen null und 30 Prozent betragen. Ausfuhren von Apfelsaft wären mit 30 Prozent Zollaufschlag massiv betroffen, bei Ketchup wären es 10 Prozent, Hunde- und Katzenfutter wiederum käme mit 0 Prozent ungeschoren davon.

    Die Wirtschaftskammer rechnet jedenfalls mit 340.000 zusätzlichen Zollanmeldungen und 200 Millionen Euro Zusatzbelastungen für die österreichischen Unternehmen.

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    Mitarbeiter

    Ein ungelöstes Problem wären Entsendungen: „Wir kennen einen Fall, wo ein Maschinenbauer eine Anlage montiert. Der Aufbau zieht sich über den 30. März hinweg“, sagte Christian Mandl, Leiter der EU-Koordination in der WKO. Wie die Briten solche Arbeitsgenehmigungen bei einem ungeregelten Austritt handhaben würden, sei ungeklärt.

    Die Fortbeschäftigung von britischen Staatsbürgern in Österreich soll vorerst für 90 Tage außer Streit gestellt werden. Das dafür nötige Gesetz ist aber noch nicht beschlossen.

    Lieferanten

    Ein heikles Thema sind die Ursprungregeln: In vielen EU-Handelsabkommen ist geregelt, dass Zollfreitarife und Kontingente nur gelten, wenn ein bestimmter Anteil der verarbeiteten Bestandteile aus der EU kommt. Exporteure müssten somit prüfen, ob sie diesen Anteil auch dann noch erfüllen, wenn die britischen Vorprodukte oder Bestandteile nicht mehr unter EU-Ursprung fallen.

    Das könnte speziell Autoteile „ursprungsvernichtend“ treffen, warnte Mandl. Diese würden teilweise für die Verarbeitung „sechs bis sieben Mal über den Ärmelkanal“ pendeln. Unternehmen müssten sich um alternative Zulieferer in der EU umsehen.

    Geschäftsverträge

    Was beim Abschluss neuer Verträge mit britischen Geschäftspartnern unbedingt zu berücksichtigen ist: Wer zahlt die Zölle? Wer trägt die Kosten für den administrativen Aufwand?

    Britische Limited Company

    Ein paar Hundert Unternehmen agieren in Österreich unter der Rechtsform der britischen Limited Company (Ltd.). Sie müssten künftig als EU-Gesellschaft neu gegründet werden – wofür es in den verbleibenden 65 Tagen eigentlich schon zu spät sei. In anderen Ländern tritt dieses Problem allerdings noch viel gehäufter auf.

    Staus und Verzögerungen

    Mit Sicherheit werden sich Export-Unternehmen auf Staus an den Grenzen, Häfen und generell auf Lieferverzögerungen einstellen müssen. Die Exporte seien in den vergangenen Monaten bereits deutlich angestiegen: Das zeige, dass die Lager vorsorglich aufgefüllt werden, sagte Kühnel.

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    Flugverkehr

    Hier sind Notfalllösungen geplant, weil bei einem chaotischen Brexit zahlreiche Landerechte für britische Airlines auf EU-Flughäfen – und vice versa – nichtig würden. Sofern Unternehmen es vermeiden könnten, sollten sie auf Geschäftsreisen in Richtung London und Großbritannien rund um den 30. März besser verzichten, sagte Mandl.

    Sollte überraschend doch noch der ausgehandelte "May-Deal" eine Mehrheit im House of Commons finden, wären die Probleme zumindest bis zum 31.12.2020 vom Tisch: Solange würde das Vereinigte Königreich nämlich wie ein EU-Mitglied behandelt.

    Wie es danach mit dem Tiroler Speck oder Steirischen Kernöl weitergeht, müsste von dem neu zu vereinbarenden Handelsabkommen festgelegt werden.

    "Ein Drama"

    Bis jetzt habe noch kein einziges österreichisches Unternehmen den Rückzug aus Großbritannien angekündigt. „Es ist zwar eine Lose-Lose-Situation, aber wirtschaftlich schaffbar“, meinte Kühnel. Das größte Problem sei die Unsicherheit.

    Ein harter Brexit könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Österreich um 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte dämpfen. „Der Brexit ist ein Drama. Es wäre besser, wenn wir uns das erspart hätten“, so Kühnel.

     

     

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