Wirtschaft

UNIQA-Chef: "Ich werde ab und zu sehr wütend"

Der Versicherungskonzern UNIQA überrascht mit einem großen Umbau: Aus vier operativen Gesellschaften wird eine einzige. Die Raiffeisen Versicherung, die Salzburger Landes-Versicherung und die FinanceLife Lebensversicherung sollen in der UNIQA Österreich Versicherungen AG aufgehen. Die Zahl der Vorstandsmitglieder in Österreich sinkt dadurch von 22 auf 10 Personen. Andreas Brandstetter, seit Juli 2011 UNIQA-Vorstandschef, erklärt die Hintergründe.

KURIER: Warum startet die UNIQA diesen großen Umbau?

Andreas Brandstetter: Durch die schlankere Konzernstruktur können wir uns viel besser auf das Marktumfeld und das Kundenverhalten – Stichworte Zinsumfeld und Digitalisierung – einstellen. Beides ändert sich sehr schnell.

Warum ist das nicht mit der neuen Strategie 2011 passiert?

Weil es die letzten vier Jahre super funktioniert hat. Wir haben ein sehr unternehmerisches Denken unserer Mitarbeiter und hohe Identifikation der Kunden mit den Gesellschaften. Jetzt, in der letzten Konzern-Umbauphase, stehen wir aber mit den Niedrigzinsen und der digitalen Revolution vor neuen Aspekten.

Was ändert sich für die Kunden? Werden Verträge gekündigt, Produkte umgestellt?

Nein, wir greifen in bestehende Verträge natürlich nicht ein. Für unsere Kunden und Vertriebspartner darf sich gar nichts ändern, zumindest nicht zum Negativen. Die Verschmelzung der Gesellschaften soll sich hinter dem Vorhang abspielen. Und es passiert nicht morgen, sondern bis zum ersten Quartal 2017, falls die Aufsichtsbehörden ihr Okay geben.

Was bringt dieser Umbau?

Einen relevanten zweistelligen Millionenbetrag zum Ergebnis (EGT) pro Jahr, erstmals voll wirksam ab 2017. Vor allem bringt es uns mehr Effizienz, höhere Geschwindigkeit und Innovationskraft.

Die Anzahl der Vorstände schrumpft von 22 auf 10. Was passiert mit den Mitarbeitern?

Da gibt es keine großen Auswirkungen, das spielt sich vorrangig unter uns Führungskräften ab. Wir werden zwar in den kommenden Jahren nicht mehr Mitarbeiter haben, aber es wird auch keine Kündigungswelle geben.

Frauenquote im neuen Vorstand ist rasch berechnet, nämlich null. Woran liegt das?

Ich bin mir des Problems bewusst. Wir haben aus 22 bestehenden Vorständen eine Gruppe von 10 zusammengefasst und keine neuen geholt. Zu unserer Ehrenrettung: Der Frauenanteil unter den Vorständen in Osteuropa ist fast 40 Prozent und 30 Prozent bei den internationalen CEOs. In Österreich haben wir Aufholbedarf.

Warum diese Diskrepanz?

Weil die Gesellschaften dort anders sozialisiert sind. Kurze Babypause, gleich wieder in die Arbeit, sehr gute staatliche Infrastruktur: Das zieht sich durch.

2015 war ein Rekordjahr für UNIQA. Gibt’s gar keine Krise?

Eine Reihe von Dingen stimmt mich nachdenklich, allen voran die Geldpolitik der EZB. Und als glühender Europäer bin ich besorgt um den Zustand der EU. Der real arbeitenden Wirtschaft geht es hingegen besser, als viele glauben. Wenn der Staat und die Politik sie lässt.

Stichwort Negativzinsen: Was heißt das für ein Versicherungsunternehmen?

Dass ich sicher nicht Jahr für Jahr Rekordergebnisse versprechen kann. Noch vor einigen Jahren hätten wir uns Dinge wie negative Zinsen nie träumen lassen. Wir bleiben aber bei unserer konservativen Veranlagung, auch wenn es schwieriger wird, Rendite zu erzielen. Ich will nicht, dass uns riskante Entscheidungen in ein paar Jahren auf den Kopf fallen. Deshalb investieren wir zum Beispiel in die Infrastruktur. Das Zinsniveau wird die nächsten Jahren so bleiben und stellt die gesamte Industrie vor Herausforderungen. Wir wollen dabei aber kein Opfer sein, sondern aktiv gestalten. Deshalb die Lebensversicherung ohne Garantiezins, die wir 40.000 Mal verkauft haben.

Die Rendite ist karg, die Garantien fallen weg. Was kann man da den Kunden versprechen?

Den Kern des Produktes, den Versicherungsschutz für das Er- und Ableben. Die ganze Branche hat jahrzehntelang hohe Renditen beworben, wollte mit Banken konkurrieren. Das war Blödsinn. Sie und Ihre Familie sind abgesichert, wenn Ihnen etwas zustößt: Das ist der Sinn einer Versicherung. Wer dazu noch acht Prozent Zinsen versprochen hat, der hat ein Problem.

Überwiegt der Schaden der EZB-Politik bereits den Nutzen?

Meine Sorge ist: Wir brauchen immer stärkere Drogen, die uns die EZB verabreicht, um minimale Effekte zu sehen. Dafür unterbleiben strukturelle Reformen, die Europas und Österreichs Staatshaushalte dringend bräuchten. Ich sehe in der Verwaltung, im Föderalismus, bei den Pensionen nicht die Reformen, die dringend nötig wären. Ich werde ab und zu sehr wütend über die Nichtreformen in diesem Land.

Sie investieren eine halbe Milliarde, um fit für die Digitalisierung zu werden. Jetzt denke ich nicht täglich drüber nach, eine Versicherung abzuschließen …

Na, Gott sei Dank!

Warum muss eine Versicherung dann 24 Stunden, sieben Tage die Woche für Kunden da sein?

Die Versicherung ist bei der Digitalisierung erst das zweite Thema. Entscheidend ist: Wer ist wie nahe am Kunden? Wer eine Applikation hat, die für den Kunden im Alltag ständig präsent und nützlich ist, kann über diese alles anbieten, auch Bank- oder Versicherungsleistungen. Momen- tan sind Versicherungen bedingt sexy. Es wird künftig nicht mehr genügen, nur Tarife anzubieten. Ein Beispiel: Ich halte es für sinnvoll, im Bereich Gesundheit und Wellness massiv zu investieren, um integrierte Services anzubieten: Arzttermine organisieren, Empfehlungen geben, über Medikamente informieren.

Die Grenzen zwischen Vorsorge, Versicherung und ärztlicher Betreuung verschwimmen?

Ich glaube, das wird kommen. Wir haben uns die 2012 gegründete New Yorker Plattform Hi Oscar angeschaut: Wow! Die schafft das. Und es gibt Unternehmen, wo Kunden kleine Schäden selbst regulieren. Bei uns in Österreich noch undenkbar.

Sie wollen die Wiener Privatklinik Goldenes Kreuz übernehmen. Die Ärztekammer meint, UNIQA werde dadurch zu mächtig. Verstehen Sie diese Kritik?

Die Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge gehören zur DNA der UNIQA. Investments in diesen Bereich – in Produkte, Spitäler und Know-how – zählen zum Kerngeschäft, auch in Osteuropa. Es würde gut zu uns passen und könnte einen Mehrwert für ein sehr traditionsreiches Spital bringen. Aber ich verstehe, wenn sich die Wettbewerbshüter das anschauen.

Sie wollen neue Manager für Digitales und Innovation einstellen. Ziehen jetzt die Computernerds bei der UNIQA ein?

Nein, weil wir unser Geschäft von Mensch zu Mensch ja weiter betreiben. Aber ein Teil der 500 Millionen Euro, die wir in den nächsten zehn Jahren investieren, ist für den Aufbau neuer Kompetenzen gedacht. Für junge Leute, die nicht aus der Branche kommen und einen frischen Blick haben. Ich bin seit 19 Jahren in der Versicherung und vielleicht manchmal schon betriebsblind. Wir werden da experimentieren müssen. Und wir können es uns leisten.

Sie sprachen von einem „Superjahr“ 2015 in Osteuropa. Ausgerechnet die Krisenländer Russland und Ukraine laufen gut, Rumänien miserabel. Warum?

Rumänien ist für alle schwierig, ein hart umkämpfter Markt, wo stark über niedrige Preise verkauft wird. Wir sind noch nicht in der Lage, die Schadenszahlungen über Prämien hereinzubekommen und reduzieren deshalb das Autogeschäft. Aber ich gebe einen Markt mit 21 Millionen Einwohnern ungern kampflos auf. In Russland haben wir eine sehr gute Vertriebskooperation mit Raiffeisen mit sehr geringen Fixkosten. Und die Krise in der Ukraine gehört dort fast zur Normalität. Die Menschen wollen ihren bescheidenen Wohlstand absichern. Dafür verkaufen wir Versicherungsprodukte und sind Nummer eins geworden – in einem 45 Mio.-Einwohner-Markt.

Warum finden die guten Ergebnisse so wenig Anklang bei den UNIQA-Aktionären?

Die Höhe unseres Investments wird als sehr groß empfunden. Und es schwingt der Vorwurf mit, wir hätten die IT-Ausgaben früher kommunizieren müssen. 2013, zum Zeitpunkt des Börsegangs, wussten wir das aber noch nicht. Das hat sich in den letzten drei Jahren so entwickelt, weil unter anderem die regulatorischen Anforderungen gestiegen sind. Da war die Frage: weiter an Details flicken oder ganz neu machen.

Bei den HETA-Anleihen haben Sie 61 Millionen Euro im Feuer. Warum wollen Sie das Umtauschangebot nicht annehmen?

Wir haben das intensiv geprüft. Es ist Geld unserer Kunden, nicht unseres. Die sind alle Steuerzahler, darunter viele Kärntner. Ich sehe nicht ein, warum sie verzichten sollten. Da fehlt mir jede Logik.

Sie erwarten nicht 75, sondern 100 Prozent Rückzahlung?Ja.Auch auf die Gefahr, dass am Ende noch weniger herausschaut?

Schauen wir einmal.

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Großinvestition. Eine halbe Milliarde Euro in den nächsten zehn Jahren für ein neues Computersystem, für digitale Geschäftsmodelle, für Zukäufe von Start-up-Firmen: Unter den Anlegern kam diese Investition nicht gut an, weil sich der Gewinn 2016 so halbieren dürfte. Dafür soll die Dividende weiterhin steigen.

2015 brachte dem Raiffeisen-nahen Versicherer ein Rekordergebnis von knapp 423 Millionen Euro (EGT, siehe Grafik). In Osteuropa hatte UNIQA mit 50 Mio. Euro Ergebnisbeitrag ein „Superjahr“, sagt Brandstetter. Die Schaden-/Kosten-Quote beträgt für UNIQA International 99,1 Prozent – Werte unter 100 bedeuten, dass das Kerngeschäft profitabel ist.


Operativ gut lief es sogar in den Krisenländern Russland und Ukraine, trotz einer Abschreibung von 13 Mio. Euro. Lediglich Rumänien erweist sich als hartes Pflaster und schrieb knapp über zwei Millionen Euro Verlust.